Freitag, 25. Dezember 2015

Homeland Season 5: Showtime in Deutschland

In der vierten Staffel hatte die bipolare CIA-Agentin Carrie Mathison als „Drone Queen“ die moralische Schlagseite ihres Brötchengebers als ihre eigene erlebt und danach das Handtuch geworfen. In der neuen Season hat sie einen neuen Job gefunden – in Deutschland. Und nicht länger bei der Agency. Mit der 5. Staffel erreicht der kontrovers diskutierte Polit-Thriller von Showtime  einen vorderen Platz unter den Top-Serien des zurückliegenden Jahres: Raised up from the ashes.

Carrie (Claire Danes), die bei der CIA keine Zukunft mehr hatte, arbeitet nun als Sicherheitsberaterin für die deutsche Düring Foundation, die von dem steinreichen Otto Düring (Sebastian Koch) geleitet wird. Ihr Verhältnis zu ihrem Mentor Saul Berenson (Mandy Patinkin) ist zerrüttet: Saul macht seinen Schützling dafür verantwortlich, dass er bei der Besetzung einer Führungsposition übergangen wurde. Nun ist er Chief der CIA-Europaabteilung und muss sich erneut mit dem zwielichtigen Dar Adal (F. Murray Abraham) herumschlagen, der für die im Dunklen operierenden Black Ops verantwortlich ist und sich dabei mehr auf den Berliner Station Chief Allison Carr (brillant gespielt von Miranda Otto) verlässt als auf Saul. Das hat fatale Konsequenzen, als der IS in Berlin zuschlagen will. Terror, Intrige und Verrat: allein Carrie kann sich auf ihre Intuition verlassen und bald ist sie wieder mittendrin in all dem, was sie hinter sich lassen wollte.

„All that suffering, and nothing changes“

Wie immer ist die Main Title Sequence von „Homeland“ eine brillante Interpretation der Seelenlandschaft der Heldin und eine symbolisch aufgeladene Vorschau auf die kommenden Ereignisse. Sean Callery hat den Score mit einer traurig-melancholischen jazzigen Trompete unterlegt. Man sieht, wie schon in Season 4, am Anfang die Löwenmaske, im Off ist eine Frauenstimme zu hören: „Europa ist für Millionen, die aus den Kriegsgebieten im Nahen Osten...“ Der Satz wird verschluckt, Cut auf ein Tablet, das IS-Ziele in Syrien und im Irak zeigt: man sieht Carrie, die im Auto durch Berlin fährt, während im Off eine andere Frauenstimme zu hören ist: „Angela Merkel will weitere 30.000 Flüchtlinge in Deutschland ...“ Dann Carrie im Off: „Christ, I really thought I left all this behind.“

Flüchtlingskrise, IS-Terror, Edgar Snowden und Whistleblowing („the battlefield is online...“), der neue alte Feind Russland – neben den Bildern der politischen Topics, die in knapp 40 Sekunden die Themenfelder der neuen Season wie zerrissene Notizzettel an eine virtuelle Wand tackern, kippt der Rest der Sequenz ins Persönliche. Das ist in „Homeland“ allerdings niemals etwas Privates gewesen ist. 

„All that suffering, and nothing changes“: Carries Lamento im Off wird Sauls nicht weniger resignatives „I actually convinced myself were gonna change the world“ und Peter Quinns (Rupert Friend) kaum weniger deprimierendes „Carrie will never be free“ entgegengehalten. Und Ende als finales Statement die Conclusio von Carries neuer Flamme Jonas Hollander (Alexander Fehling): „So many people, so much blood on your hands.“
Das ist düster und es erzählt beinahe alles, was man danach zu sehen bekommt.
Die neue Main Title Sequence von „Homeland“ nimmt es dabei ästhetisch ganz locker mit den Opening Credits von „True Detective“ oder „House of Cards“ auf und gehört zum Besten, was ich in den letzten Jahren gesehen und gehört habe. Komprimiert und pointiert ist zu sehen, dass „Homeland“ nie nur ein Polit-Thriller war, sondern auch ein psychologisches Drama. Der neue Vorspann zeigt das Thema und kündigt auch das Ende an: Alle sind Verlierer und man kann sich nicht vorstellen, dass es nach dieser Season irgendwie weitergehen kann mit all diesen beschädigten und kaputten Figuren.

Genre-Klischees und präzise Momentaufnahmen

Carrie in Berlin – daran muss man sich gewöhnen. Aber es macht Sinn, denn der Kampf gegen den Terror wird schon längst in Europa ausgetragen. In der ersten Episode geht es darum, dass der Journalistin Laura Sutton (Sarah Sololovic) gehackte Dokumente der CIA zugespielt werden Damit könnte sie die illegalen Schnüffelaktionen von BND und CIA beweisen. Doch bald sind auch die Russen hinter den Dokumenten her und was als vielversprechende innerdeutsche Affäre beginnt, entwickelt sich rasch zu einem globalen Spionage-Thriller, in dem es um einen Terroranschlag des IS in Berlin, den Sturz des syrischen Despoten Baschar al-Assad durch die CIA, die Interessen des israelischen Mossad und – natürlich – auch um den Klassiker aller Spy Movies geht: den Verräter in den eigenen Reihen.

„Homeland“ bewegt sich dabei zwischen saftigen Genre-Klischees und beängstigend präzisen Momentaufnahmen. Dass die Russen alles tun, um den IS-Anschlag gelingen zu lassen, ist von bizarrer Logik, das strategische Ziel ist bitter-böse: Nur so könne man den dekadenten Westen aufrütteln, um ihn zum bedingungslosen Kampf gegen den Islamismus zu motivieren. 
Mit solchen steilen Thesen hat die Serie bereits in der Vergangenheit heftige Kritik provoziert, doch bei „Homeland“ ist die Ambivalenz Programm. Die Macher um die Showrunner Howard Gordon und Alex Gansa („24“) haben bereits in den vergangenen Staffeln regelmäßig divergierende Positionen in Stellung gebracht und dem Zuschauer klare Positionen verweigert. 

Das wird auch in der ersten Episode offensichtlich, als Carries Buddy Peter Quinn nach zweijähriger Special Ops-Arbeit gegen den IS seinen Bossen in Langley das Scheitern der amerikanischen Strategie um die Ohren haut: „Tell me what the strategy is and I’ll tell you if it’s working. That right there is the problem. They have a strategy. What do you think the beheadings, the crucifixions, the revival of slavery are about? It’s all in The Book. The only book they ever read, all the time, they never stop. To usher in a world without infidels - that’s their strategy and it’s been that way since the 7th century. You really think a few Special Forces teams are going to put a dent in that?“

Ist das islamophob oder realistisch? Und was tut die CIA in dieser Gemengelage in Berlin? Nun, sie killt. Saul Berenson hat im Auftrag der Agency eine Todesliste zusammengestellt, auf der zahlreiche IS-Aktivisten und –Sympathisanten stehen, eine Liste, die von Peter Quinn akribisch abgearbeitet wird. Mitten in Berlin. Fiktion? „Homeland“ ist vor diesem Hintergrund alles Mögliche vorzuwerfen – eine blühende Phantasie allerdings nicht, zumindest nicht in dem genannten Punkt (1).

Narrativ ist die Geschichte ein Mixtur aus kruden Ideen und erschreckend realistischen Mutmaßungen.
Die 5. Staffel ist mit Ausnahme der letzten Episode lange vor den Anschlägen in Paris fertig gestellt worden. Die „German Angst“, die sich angeblich wieder bei uns breit macht, dürfte die neue Staffel jedenfalls ziemlich beflügeln, wenn sie davon erzählt, dass eine IS-Terrorzelle in der Bundeshauptstadt einen Anschlag mit dem chemischen Kampfstoff Sarin plant.
Die dramatischen Ereignisse finden ihren Höhepunkt in den beiden letzten Episoden, in der die Terroristen den Berliner Hauptbahnhof attackieren – IS-Follower, die sich nicht etwa als Flüchtlinge getarnt in Deutschland eingeschlichen haben, sondern mitten unter uns als deutsche Staatsbürger mit Migrationshintergrund lebten und auf zahlreiche Sympathisanten in der muslimischen Gemeinde Berlins, aber auch an der Hochschule der Stadt zurückgreifen können. Das dürfte Ängste auslösen. Der permanente Vorwurf der Islamophobie, dem „Homeland“ seit jeher ausgesetzt ist, dürfte angesichts der aktuellen Ereignisse in Frankreich und Belgien schwächer ausfallen. Er wird in der Serie zudem sarkastisch kommentiert, denn es ist ausgerechnet ein bekennender libanesischer Atheist. Ein Akademiker mit deutschem Pass, der sich an Israel und Deutschland rächen will und den IS mit der erforderlichen Technik für den Anschlag versorgt.

Ein kompaktes Comeback

„Homeland“ in Deutschland: Da stellt sich natürlich die Frage, was amerikanischen Scriptwritern zu unserem Land so einfällt. Natürlich sind im Cast deutsche Schauspieler in mehr oder weniger wichtigen Rollen zu finden: neben Sebastian Koch und Alexander Fehling sind auch Nina Hoss als BND-Agentin Astrid und Martin Wuttke als lokaler BND-Chef Adler mit von der Partie, sogar Jörg Hartmann ist in einer Mini-Nebenrolle zu sehen.

Im Übrigen staunt man, was sich die Autoren zu Deutschland einfallen ließen: Deutsche Polizisten, die friedlich demonstrierende Bürgerrechtler zusammenknüppeln (allerdings nur kurz in einem TV-Einspieler zu sehen), BND-Agenten, die unter den Augen der örtlichen CIA-Vertreter einen Zeugen der Agency am helllichten Tag kidnappen und Martin Wuttke als BND-Leiter Adler, der die CIA-Schnüffler auf die Bundesregierung ansetzt, weil man das ja wegen der strengen Gesetze nicht selbst tun dürfe. Hier ist die Phantasie wohl aus dem Ruder gelaufen und das Schaf wurde zum Wolf gemacht.

Auch wenn nicht immer alles stimmig im Deutschland-Bild der Serienmacher ist, so ist „Homeland“ ein kompaktes Comeback gelungen. Die ätzenden Fragen landen treffsicher im Ziel: Sind Whistleblower naive Idealisten oder die letzte Bastion vor dem Fall der Bürgerrechte? Hat sich der Kampf gegen den Terror zu einer wahnwitzigen Karussellfahrt entwickelt, in der beide Seiten nur Leichenberge anhäufen? 
Antworten bleibt "Homeland" schuldig. Wenn die Scriptwriter am Ende allerdings dafür sorgen, dass der IS in Berlin scheitert, dann liegt das weniger an der Schlagkraft der CIA, sondern an den Gewissensqualen eines muslimischen Terroristen. Auch eine Antwort.

Und der Rest? „Homeland“ ist erneut ein psychologisches Drama, in dem es keine Gewinner gibt. Nur Verlierer und Opfer, die auf der Strecke bleiben. Carrie wird nichts von dem behalten, was ihr lieb und teuer ist. Saul Berenson wird im Laufe der Staffel immer mehr zur heimlichen Hauptfigur, die – doppelt und dreifach betrogen, von Freunden und Feinden – am Ende blutige Rache sucht und findet. Und die wirkliche Hauptfigur ist Peter Quinn, an dem im makabren Höhepunkt der Staffel die Terroristen die Wirkung des Nervengifts Sarin testen. Er ist noch mehr als Carrie ein Wanderer zwischen den Fronten – bedingungslos loyal zu Carrie, gnadenlos als Killer, seelisch bereits tot. 

Natürlich hat man oft das Gefühl, das alles bereits gesehen zu haben, aber die Intensität und Glaubwürdigkeit, mit der die neue Staffel ihre Geschichte erzählt, spiegelt in ihrer Atemlosigkeit in 12 Episoden wider, wie sich der momentane Zeitgeist anfühlt. Alle laufen wie besessen im Hamsterrad. Es dreht sich immer schneller und doch weiß keiner, was am nächsten Tag passieren wird.

(1) 2001 kündigte der US-Justizminister John Ashcroft an, dass die US-Regierung plant, Auftragsmorde im Ausland zu legalisieren und Mitarbeiter zu rekrutieren, die direkten Zugang zu Terrorzellen besitzen.
Erinnert sei auch an die Affäre Darkazanli, die zu Ermittlungen der Hamburger Staatsanwaltschaft und später auch der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe führte: angeblich haben die CIA oder Blackwater geplant, den als mutmaßlichen Al-Qaida geltenden Deutsch-Syrer zu liquidieren. Und über die rustikalen Auslassungen der ehemaligen Chefs der NSA und CIA, Michael Hayden, der die sogenannten „Kill Lists“ dementierte, aber einräumte, dass die Dienste gegnerische Kombattanten töten würde, hat der SPIEGEL mehrfach berichtet.


Noten: BigDoc = 1,5

Homeland - USA 2015 - Network: Showtime - 12 Episoden - Executive Producers: Howard Gordon, Alex Gansa - D.: Claire Danes, Rupert Friend, Mandy Patinkin, Alexander Fehling, F. Murray Abraham, Miranda Otto, Sebastian Koch, Martin Wuttke, Nina Hoss, Mark Ivanir, René Ifrah, Sarah Sokolovic.