Dienstag, 25. August 2015

Fear The Walking Dead

Es ist schon erstaunlich, wie reibungslos gewisse Automatismen greifen: obwohl in der Pilot-Folge von „Fear The Walking“ kaum Zombies und erst recht keine Gore-Effekte zu sehen sind, wurde der Folge „Pilot“ sogleich eine Altersfreigabe ab 18 Jahren aufs Auge gedrückt. Vielleicht ist das ja Teil des Marketings.

Das Spin-Off der Untoten-Serie „The Walking Dead“ dürfte als Serien-Neustart wohl das Sommer-Highlight werden. Über 10 Mio. Zuschauer waren in den USA am Start, AMC platzierte sich damit nicht nur in den Top Five der erfolgreichsten Serien-Premieren auf Platz 1, sondern ist in diesem Ranking gleich dreimal mit eigenen Produkten vertreten. Zuletzt hatte „Better Call Saul“ die Pool Position.

Bei der Konzipierung des Spin-Offs dürften die hart umworbenen 18- bis 49-Jährigen im Fokus gestanden haben. Die jüngeren, zahlungskräftigen Zuschauer bilden in dieser Zielgruppe den demografisch relevanten Kern. Sie drücken nicht nur an der Kinokasse die meisten Dollar ab. Wer also genau analysiert hat, welche Zuschauer sich am stärksten an das erfolgreiche Original gebunden haben, sollte als Autor im „Writer’s Room“ keine Probleme mit der Grobplanung des Personals bekommen haben. Klar, Erwachsene stellen die Hauptfiguren, aber daneben gibt es junge Gesichter – viele junge Gesichter. Teenager-Dystopien sind en vogue.

In „Fear The Walking Dead“ (FTWD) ist es ein Junkie aus gutem Hause, der den ersten Zombie sieht. Nick (Frank Dillane, „Sense 8“) ist noch ziemlich „zu“, als er morgens in einer maroden Kirche nicht nur nach seinen Junkie-Kollegen, sondern auch nach seiner Freundin sucht. Dass diese ihm nicht fröhlich lächelnd mit einer Tüte voller Brötchen gegenübertritt, dürfte wohl allen klar sein, die sich ein wenig mit der Dramaturgie von „The Walking Dead“ (TWD) auskennen. Natürlich sitzt die Gute beim Frühstück, aber das ist ziemlich unappetitlich anzuschauen, und was Nick sonst noch sieht, treibt ihn so entsetzt aus dem Gotteshaus, dass er prompt vor ein Auto läuft.

Bereits in „John Carpenter’s Prince of Darkness“ war eine Kirche der Ausgangspunkt allen Übels. In FTWD werden Nicks Eltern Madison (Kim Dickens, „Treme“, „Sons of Anarchy“, „House of Cards“) und Travis (Cliff Curtis, „Body of Proof“), die beide an der gleichen Schule arbeiten, die Kirche noch einmal aufsuchen, aber außer viel Blut gibt es dort nichts mehr, was zur Aufklärung beitragen kann. Und Nick liegt derweil in L.A. in einem Krankenhaus und verschweigt zunächst einmal beharrlich, was er gesehen hat. Ihm ist nicht klar, ob das „Zeug“, das er genommen hat, ihm nicht einige saftige Halluzinationen beschert hat.


Auf den ersten Blick ein konventioneller Auftakt

Die erste Episode von „Fear The Walking Dead“ wurde von Robert Kirkman, dem Schöpfer der Comic-Serie „The Walking Dead“, und Showrunner Dave Erickson („Sons of Anarchy“) geschrieben. Regie führte der Serienprofi Adam Davidson (u.a. „Treme“, „Fringe“, „True Blood“, „Dexter“, „Lost“). Regisseure werden, wie es im US-TV häufig der Fall ist, nur für eine Episode angeheuert und reichen den Stab dann weiter. In FTWD hat Davidson immerhin drei Episoden zu verantworten.

Was Davidson in „Pilot“ in gediegenen wackelfreien Bildern zeigt, haben sich indes Kirkman & Erickson ausgedacht. Allerdings ohne Zugriff auf eine clever durchkonstruierte Comicserie. „Fear The Walking Dead“ ist ein Unikat. 
Kirkman & Erickson erzählen die Geschichte einer keineswegs normalen Patchwork-Family aus dem amerikanischen Mittelstand, die (natürlich) mit respektlosen Problemkindern zu kämpfen hat. Madison ist die Mutter von Nick und Alicia (Alycia Debnam-Carey, „The 100“), die im Gegensatz zu ihrem Bruder für bürgerliche Dignität steht, während Travis sich mit einem zornigen Sohn aus erster Ehe herumschlagen muss, Chris (Lorenzo James Henrie), der seinen Vater für die Scheidung verantwortlich macht und nur kurz in „Pilot“ zu sehen ist. Womöglich wird er das Ende von Folge 2 nicht erleben.

Das alles könnte auch der arg konventionelle Auftakt einer biederen Familienserie sein, die auf den ersten Blick so uninspiriert und klischeehaft agiert, dass man ein frühes Serienaus mangels Quote befürchten muss. Letzteres erscheint ausgeschlossen, und da sind ja noch die Zombies, die in den Köpfen der Zuschauer herumspuken.
Aber nur dort. In der Diegese von FTWD gibt es nämlich keine pop-kulturellen Referenzen, keine Medienerfahrungen, die das Handeln der Protagonisten steuern. Auch Nick hat wohl noch nie einen Zombiefilm gesehen, George A. Romero ist ein Fremdwort für ihn und „The Walking Dead“ wurde in Los Angeles wohl noch nicht im Fernsehen gezeigt. Zombies, so viel steht fest, erkennen sie nicht mal, wenn sie ihnen bei der Mahlzeit zuschauen. In den Köpfen der Zuschauer rumort es dagegen kräftig. Das nennt man Suspense.
In der ersten Folge besteht die Spannung also darin, dass die Hauptfiguren fest die Augen verschließen und nicht verstehen wollen, was sie sehen. Nur der Schul-Außenseiter Tobias ahnt, was da wohl auf alle zukommt und trägt bereits ein Küchenmesser mit sich herum. Und wenn an der Schule, an der Madison und Travis arbeiten, in einem Verkehrsvideo ein Mann gezeigt wird, der Cops anfällt und trotz unzähliger Schüsse der Cops immer wieder aufsteht, dann halten die Teens dies für einen „Fake“. Das ist zwar nicht ganz so hirnrissig wie die Dämlichkeit, die man anfangs in „The Strain“ zu sehen bekommt, aber beileibe noch nicht originell genug, um in freudiger Erwartung auf die nächste Episode von FTWD zu warten. Es ist aber stringent genug, um die Story nachvollziehbar weiterzuentwickeln.


Vorschusslorbeeren sind überflüssig, „Thumbs down“ aber auch

Ob der ruhige Serienauftakt das kommende Erzähltempo andeutet und ob die Figuren für die 6-teilige Staffel genug Erzählstoff bieten, wird zu sehen sein. Immerhin bietet der Auftakt etwas von dem sarkastisch-metaphernreichen Humor des Originals, etwa wenn Travis in seiner Schulklasse Jack Londons Kurzgeschichte „To Build a Fire“ deutet: sie lehre uns, was man tun muss, um in extremen Situationen nicht zu sterben. Aber er weiß auch: „Nature always wins“. Dass hätte auch Rick nicht besser formulieren können.
Robert Kirkman hatte bereits im Vorfeld angedeutet, dass das Spin-Off zunächst „slow“ sein würde. Erzählt wird zunächst das, was Rick Grimes im Krankenhaus verschlafen hat: die Geschichte des Outbreaks, die schleichende Überwältigung der Gesellschaft durch Untote, von denen man ja weiß, dass sie nicht nur durch Beißen für Nachwuchs sorgen, sondern ein Virus in sich tragen, dass auch alle anderen besitzen. Wer stirbt, erhebt sich nach kurzer Zeit und geht reflexhaft auf Nahrungssuche.



Einen Serienstart nach nur einer Episode zu bewerten, ist an sich unsinnig. Dennoch ist es ein spannendes Geschäft, ein Deuten der Erwartungen. An einem Vergleich mit dem Original kommt „Fear The Walking Dead“ also nicht vorbei. Nicht weil die neue Serie ein Spin-Off ist, sondern weil das Original wie ein Monolith in der Serienlandschaft steht und bereits TV-Geschichte geschrieben hat.
 Und dieser Vergleich kann nicht gut ausgehen.
Wer sich an den Auftakt von TWD erinnert, wird nämlich nicht vergessen haben, dass Frank Darabont seine Serie wie großes Kino angelegt hat. Eine Geschichte, die mit einem harmlosen Smalltalk über Eheprobleme beginnt und den Helden nach knapp einer Stunde mitten nach Atlanta führt, wo er neben einem Zombie im Panzer sitzt, während draußen Hunderte von Untoten sein Pferd auffressen. Das war pointiert, die Hauptfigur war charismatisch, ebenso wie die Figuren, die in der Folgeepisode eingeführt wurden. Die erste Season von TWD war wie ein Fausthieb und es war keine geringe Leistung, nach Darabonts Ausscheiden das Niveau auf einem annähernd vergleichbaren Level zu halten. Mit „Fear The Walking Dead“ muss man dagegen Geduld haben. Vorschusslorbeeren sind genauso überflüssig wie ein zu frühes Senken des Daumens.

Etwas Gutes gibt es auf jeden Fall zu berichten: Die Bildqualität, die Amazon beim Serienstart servierte, war referenzverdächtig. Die Mär vom „gewollt schlechten Look“ dürfte auserzählt sein. Offenbar hat AMC in sein Premium-Produkt kräftig investiert, er wurde mit adäquater Technik produziert und nur ganz Hartleibige dürften daran verzweifeln, dass die Bilder scharf sind, die Kontraste stimmen und die Schwarzwerte exzellent sind. Nun muss man nur abwarten, was die Presswerke mit diesem Produkt anfangen. Vielleicht werden wieder zu viele Episoden auf einen Datenträger gepresst und die „Dirty Look“-Apologeten können kräftig durchatmen.

Kräftig investiert hat wohl auch Amazon. Das Premium-Produkt wurde nicht in den kostenpflichtigen Bereich abgeschoben, sondern ist gratis im PRIME-Bereich zu sehen. Deutsch synchronisiert oder als OV, bereits einen Tag nach der US-Ausstrahlung. Damit hat AMAZON nicht nur Netflix aus dem Rennen geworfen, sondern auch FOX. Dass der Streaming-Anbieter mit „Fear The Walking Dead“ erfolgreich Werbung in eigener Sache betreiben wird, ist mit Sicherheit keine Risiko-Prognose.

Nach dem Ende der ersten Season folgt eine ausführliche Besprechung.

Fear The Walking Dead – USA 2015 – 6 Folgen – Idee / Showrunner: Robert Kirkman, Dave Erickson – D.: Kim Dickens, Cliff Curtis, Frank Dillane u.a. – Altersfreigabe: ab 18 Jahren