Samstag, 15. November 2014

Interstellar

Christopher Nolan bedient mit seinem waghalsigen Film Sehnsüchte und Visionen der traditionellen Science-Fiction: Der Aufbruch zu den Sternen ist nicht nur ein Abenteuer, sondern eine Menschheitsaufgabe. Allerdings treibt die Helden in „Interstellar“ nicht Forscherdrang an, sondern die Rettung der maroden Welt. So ist der Film auch ein gelungener Gegenpol zu den aktuellen und mittlerweile ermüdenden Dystopien, deren Figuren die Kraft und der Mut fehlen, den ökologisch ruinierten Heimatplaneten zu verlassen. In „Interstellar“ haben sie Kraft und Mut, aber sie müssen einen hohen Preis bezahlen.

Die Erde ist auf dem besten Wege, sich in einen Wüstenplaneten à la Frank Herbert zu verwandeln, nur ohne Sandwürmer. Sie ist so vollständig am Ende, dass nur noch die Flucht bleibt. Wer oder was für das Desaster gesorgt hat, bleibt offen. Aber wenn man die gegenwärtig peinlich minimalistischen Bemühungen sieht, mit denen die Politiker das Weltklima retten wollen, braucht man eigentlich keine weiteren Erklärungen.
Trotzdem will diese Geschichte erzählt werden.


Science-Fiction, keine Fantasy

Mitte des 21. Jh. haben auf der Erde die Überlebenden des großen Öko-Kollaps eine Agrargesellschaft etabliert, in der das Interesse an Naturwissenschaften nicht mehr existiert. Parasiten und Krankheiten verhindern den Anbau von Getreide und Gemüse, als letztes Nahrungsmittel ist allein Mais übrig geblieben. In dieser sterbenden Zivilisation bewirtschaftet der Ex-Pilot Cooper (Matthew McConaughey) zusammen mit seinem Schwiegervater (John Lithgow), seiner zehnjährigen Tochter Murphy (Mackenzie Foy als Kind, Jessica Chastain als Erwachsene und Ellen Burstyn als alte Frau) und seinem Sohn Tom (Timothée Chalamet, Casey Affleck) eine Farm. Murphy glaubt aufgrund merkwürdige Vorkommnisse in ihrem Zimmer, dass sie eine mysteriöse Botschaft von einem unbekannten Wesen, möglicherweise einem Geist, erhält. Cooper kann das Ganze allerdings als Morsezeichen decodieren. Die Botschaft besteht aus zwei Mitteilungen: später aus der zunächst unverständlichen Aufforderung „Stay“, zuvor als Koordinaten eines Ortes - es ist der verborgen vor der Öffentlichkeit operierende letzte Standort der NASA.
Hier trifft Cooper auf Professor Brand (Michael Caine) und dessen Tochter Dr. Amelia Brand (Anne Hathaway), die Cooper in ihr Projekt einweihen. Es soll die Menschheit retten. Wer auch immer es war: geheimnisvolle „Sie“ haben ein Wurmloch in der Nähe des Saturn positioniert, durch das bereits vor einigen Jahren Wissenschaftler geschickt worden sind. Das Projekt „Lazarus“ sollte am anderen Ende in einer fernen Galaxis nach neuen Lebenswelten zu suchen. Und die Reiseroute scheint von einer höheren Intelligenz vorbereitet worden zu sein. Kubricks Monolith lässt grüßen.

Cooper lässt sich gegen den heftigen Widerstand „Murphs“ dazu überreden, als Pilot ein Raumschiff sicher ans Ziel zu bringen. Brand will inzwischen Relativitätstheorie und Quantenmechanik zusammenführen, um der Natur der Gravitation auf die Schliche zu kommen. Nur so könne man eine Rettungs-Raumstation mit Menschen durch das Wurmloch bringen, um auf der anderen Seite einen erdähnlichen Planenten zu besiedeln.
Das ist Plan A. Plan B sieht als letzten Ausweg vor, mit einer kleineren Population und tiefgefrorenen Eizellen die menschliche Evolution neu anzustoßen.
Die letzte Mission führt das Astronautenteam Cooper, Amelia Brand und die beiden Wissenschaftler Romily und Doyle zusammen mit den KI-Robotern TARS und CASE dann auch erfolgreich durch ein Wurmloch. Allerdings auch in die Nähe eines Schwarzen Loches, wo drei der als bewohnbar geltenden Planeten ihre Bahnen ziehen. Allerdings führt die gravitative Zeitverzerrung des Schwarzen Lochs zu berechenbaren, aber keineswegs vorhersehbaren Extremsituationen, die alles auf den Prüfstand stellen. Alle drei Planeten kann das Team an Bord der „Endurance“ nicht mehr prüfen. Nicht nur der Treibstoff ist knapp geworden, auch die Uhren an Bord ticken in der Nähe des Schwarzen Loches extrem langsamer als auf der Erde. Braucht man also zu viel Zeit für den Job, würde man nach der Rückkehr auf die Erde womöglich nicht einmal mehr seinen Enkeln begegnen, sondern die ganze Menschheit wäre futsch.

Ein Wurmloch mit mythologischen Qualitäten, sarkastische Roboter und eine schwindelerregende Fahrt durch ein Wurmloch: Das hört sich so an, als wären Stanley Kubricks „2001 – A Space Odyssee“ und „Star Wars“ eine Allianz eingegangen. Beide Filme haben Christopher Nolan in jungen Jahren beeindruckt und das sieht man auch „Interstellar“ an.
Science-Fiction und Fantasy, und dazu gehören die beiden großen Vorbilder, leben allerdings in zwei Welten: SF orientiert sich an bekannten oder zumindest plausiblen und rational begründbaren Naturgesetzen, es will erzählte Wissenschaft sein; Fantasy nimmt sich dagegen die Freiheit, diese frei zu erfinden, wenn es der Story dient.
„Interstellar“ ist zweifellos SF, zumindest am Anfang. Mit der korrekten Darstellung der relativistischen Zeit und der gravitativen Zeitdilatation gelingt Nolan ein realistisches Szenario. „Interstellar“ funktioniert auch recht überzeugend als Beschreibung der emotionalen und moralischen Fragen, die auf uns zukommen, wenn wir uns im Kosmos von Albert Einstein bewegen. Unser psychologisches Erleben von Zeit ist an diesem Ort zwar nicht irrelevant, aber die Art und Weise, wie die Raumzeit unter bestimmten Bedingungen funktioniert, stößt an die Grenzen der menschlichen Wahrnehmung: Man kann sie zwar berechnen, aber man spürt nicht, wie es sich anfühlt. 

Verlust der Heimat, Verlust der Menschen, die man geliebt hat, der Familie, möglicherweise der Kultur, in der man gelebt hat – all dies sind unausweichliche Konsequenzen der Zeitdilatation, die an der Grenze zur Lichtgeschwindigkeit und in der Nähe massiver Gravitationseffekte zu extremen Zeitunterschieden führt. Sie definiert radikal Biografien um und fordert Entscheidungen: Darf man das tun, was man kann? Welche Folgen hat dies für die Zurückgebliebenen? Was fühlt man dabei?

Cooper will irgendwann wieder nach Hause. Er hat es seiner Tochter versprochen. Amelie Brand will nur zu einem der drei Planeten, weil sie als Wissenschaftlerin dort die besten Ergebnisse erwartet, aber auch, weil dort ihr Geliebter auf sie wartet. Möglicherweise, aber vielleicht auch nicht. Persönliches ist, so scheint’s, genauso wichtig wie Rettung der Erde.

Als neulich im Fernsehen der DEFA-Klassiker „Der schweigende Stern“ zu sehen war, konnte man das Gegenstück zu dieser Misere sehen: ideologisch gefestigte und humanistisch gebildete Astronauten, deren Empathie dem großen Ganzen gilt. Auch wenn man an diesen Alphatieren der Zukunft doch noch einen Rest Privates spüren konnte, waren sie so vernunftgeleitet, um für das Projekt und das große Ziel notfalls in den Tod zu gehen. Auch Michael Caines Figur des nicht immer aufrichtigen Physikers wird dieses Empathiekonzept andeuten. Es gehört zu den großen Science-Fiction-Themen und Nolan deutet es an, zeigt es aber nicht in seiner ganzen Ambivalenz.

Dennoch ist es konsequent, dass es auch um die Liebe geht, wenn in Nolans Film die Protagonisten ihr nächstes Reiseziel verhandeln. In „Interstellar“ sind die Figuren, auch nicht Cooper, eben keine Alphatiere. Einige Kritiker haben den Film angegriffen, weil sich alles so verquast und spirituell anhört, wenn Amelie die „kosmische Liebe“ als Argument einbringt. Dialoge unter Kitschverdacht.
Ich glaube aber nicht, dass Nolan unfähig war, vernünftige Dialoge zu schreiben (Christopher Nolan hat zusammen mit seinem Bruder Jonathan das Drehbuch verfasst). Vielmehr ist alles der emotionalen Hilflosigkeit der Figuren geschuldet. Sie können zwar die Zeitdilatation berechnen, nicht aber die Leere in ihrer Seele. Und deswegen fangen sie an, pathetisches und metaphysisches Zeug zu reden, während sie eigentlich das meinen, was sie zu glauben kennen. Nur ist halt die Liebe im Gegensatz zu physikalischen Phänomenen noch unberechenbarer. „Interstellar“ ist ein pessimistischer Film, mindestens aber ein melancholischer. 


Im Grunde eine Familiengeschichte

„Interstellar“ ist aber kein Nachhilfeunterricht in Physik und Existenzialismus, was einige Kritiker murrend vermuteten, sondern eine richtige Kinogeschichte. Und die beginnt clever, denn Nolan stürzt sich nicht übergangslos in die Weiten des Raumes, sondern erzählt in einer fast einstündigen Exposition mit epischer Breite eine subtile Familien- und Sozialgeschichte. In der bauen die Überlebenden verzweifelt ihre Weltbild um, während gewaltige Sandstürme über die gigantischen Maisfelder ziehen und der Mehltau die Ernte vernichtet.

Als Connor während einer Elternsprechstunde damit konfrontiert wird, dass seine Tochter naturwissenschaftliche Bücher in den Unterricht gebracht hat, wird dieses Sakrileg mit ausgesuchter, aber eisiger Höflichkeit diskutiert. Wie im Zerrbild einer Orwell’schen Neusprech-Öko-Gesellschaft hat man die Geschichte buchstäblich umgeschrieben: die Mondlandung war ein inszenierter Fake, das Ganze wurde inszeniert, um die Russen in einen verhängnisvollen Wettbewerb zu treiben, den sie finanziell nicht bewältigen konnten. Auch alles andere war Schwindel. Ingenieurswissenschaften und besonders die Raumfahrt sind Verschwendung von Ressourcen, Technologie ist nicht länger eine Utopie, sondern ein frivoler Scherz der menschlichen Intelligenz. 
Es ist die Skizze einer milden Revolution, die aus pragmatischen Gründen die Wissenschaftsgeschichte umschreibt, um die Menschen von sinnlosen Träumen und Visionen zu befreien. Erklärt von freundlichen Lehrern, die vorgeben, dies zu glauben. Gebraucht werden nur noch Farmer. Connor ist inmitten dieses sanften Öko-Terrorismus’ ein Fremdkörper. Aber immer noch der „Last Man Standing“, der seinen Blick nach oben zu den Sternen und nicht nach unten auf den Dreck richten will.

Die außergewöhnlich lange Exposition sorgt für differenzierte Figuren und bereitet auch die bevorstehenden Tragödien vor. Diese erlebt Connor dann als Schweigen. Während die „Endurance“ keine Botschaften mehr absetzen kann, erreichen das Schiff immer noch Videobotschaften von der Erde. Und während Coopers Tochter zunächst eisern schweigt, erzählt ein mit jedem Video älter gewordener Tom seinem Vater, für den nur Tage oder Wochen vergangen sind, vom Sterben und der Ausweglosigkeit. Bis er dann ganz aufgibt. Es antwortet ja niemand.
Irgendwann, wir ahnen es, wird der Sohn älter sein als der Vater. Und tatsächlich wird Cooper ganz am Ende seiner Tochter begegnen: als sterbende Greisin in einem Krankenhausbett, umringt von Kindern und Enkeln, die Cooper noch nie gesehen hat. In „Interstellar“ geht es nicht nur um den Ereignishorizont eines superschweren Black Holes, sondern auch um den emotionalen und moralischen Horizont in einem kaum zu begreifenden Universum.


„Interstellar“ und die Wissenschaft

Haben wir „Star Trek“ wegen seiner profunden Wissenschaftlichkeit geliebt? 
Eher nicht. Wenn Captain Kirk und seine Nachfolger mit Warp beschleunigten, dann schoss die Enterprise mit mehrfacher Lichtgeschwindigkeit in die unendlichen Tiefen des Weltraums.
Dass „to warp“ aber „etwas biegen“ heißt und der Antrieb darauf basierte, dass der Raum, durch den die Enterprise flog, gebogen wurde, war für das Funktionieren der Serie nicht so wichtig. Und immer, wenn die Enterprise zwischendurch von ihren Missionen zum Heimatplaneten Erde zurückkehrte, liefen dort die Uhren synchron. Bei Gene Roddenberry gab es Einsteins spezielle und allgemeine Relativitätstheorie nicht. Tatsächlich leben wir in einem Universum, in dem nur die Geschwindigkeit des Lichts konstant ist, während sich Länge und Zeit ständig ändern.

„Interstellar“ will den Spagat zwischen Wissenschaft und Gefühl, Plausibilität und Phantasie, mit Bedacht stemmen. Auch wenn sich einige hemdsärmelige Blogger an ‚endloses Geschwafel ohne Logik, Sinn und Verstand’ erinnern und etwa seriösere Kritiker über zu viel Meta- und Quantenphysik klagen, beschränkt sich der Film auf kurze und prägnante Informationen zu diesen Themen, die (wo auch sonst?) in den Dialogen platziert werden. Überfordert wird dabei niemand. In der 12. Und 13. Klasse müssen deutsche Schüler bereits die komplexen Formeln zur Berechnung der Zeitdilatation anwenden können. 

Um seine Geschichte einigermaßen glaubwürdig erzählen zu können, hat sich Christopher Nolan zudem einen kompetenten Physiker ins Boot geholt: Kip Thorne. Thorne hat für das Filmteam ein ausgefeiltes Black Hole entworfen. Als er das Ergebnis sah, stellte er fest, dass dies so innovativ sei, dass es ihn wissenschaftlich weitergebracht hätte. Er hat bereits ein Buch darüber geschrieben.
Spannend und verblüffend ist auf jeden Fall die Szene, in der Connor und sein Team etwas mehr als drei Stunden lang den ersten Planeten erkunden, einen unwirtlichen Wasserplaneten mit riesigen Tsunamis. Ihr auf dem Schiff zurückgebliebener Kollege ist während dieser drei Stunden 23 Jahre älter geworden.

Ganz gelungen ist die Synthese zwischen Kinoplot und Einstein aber nicht. Man konnte ziemlich schnell die ersten Kritikpunkte von Astrophysikern nachlesen. Drei Planeten ohne Fixstern in der Nähe? Bullshit. So nah am Schwarzen Loch vorbeifliegen? Geht nicht, Röntgenstrahlen würden die Crew braten. Und so weiter.
Natürlich ist das interessant zu lesen, aber „Interstellar“ ist halt Kino und damit auch Phantasie und Fiction. Viele SF-Autoren wollten früher überhaupt nicht wissen, ob ihre Stories plausibel sind. Stanislaw Lem hat sich sogar entschieden geweigert, die Schwerelosigkeit am eigenen Leibe zu erfahren. Ich kann diese Immunisierung zwar nicht nachvollziehen, aber insgesamt sollte man nicht jede Plotidee an der Tafel mit Kreide nachrechnen. Immerhin hat die gravitative Zeitdilatation Einzug in den Film gefunden und das wird vielleicht den einen oder anderen Zuschauer ins Grübeln bringen. Nur wenigen Regisseuren dürfte ein ähnliches Vorhaben gelingen, geschweige denn von knochenharten Produzenten gestattet werden. 


Das Ende floppt

Wie immer entscheidet das Ende über den bleibenden Eindruck, den man von einem der am heftigsten diskutierten Blockbuster der Saison aus dem Kino mitnimmt. Und das Ende enttäuscht heftig, denn Nolan entscheidet sich für Fantasy und gegen Science Fiction. Cooper dringt in das Schwarze Loch ein und bewegt sich dort völlig gefahrlos in einer Raumzeit, in der alle Ereignisse gleichzeitig existieren und wie Bücher in einem Regal stehen. Man wandert von einem zum anderen. 
„Interstellar“ kehrt damit sehr spekulativ zu einem Zeitbegriff zurück, der eher an Newtons Annahme einer physikalisch realen Zeit erinnert, nur dass sie in einer fünfdimensionalen Matrix angeordnet ist. Das wirkt leider lächerlich, beinahe wie ein überdrehter Nachschlag von „Inception“ und ist zudem bei Kurt Vonnegut geklaut worden („Slaughterhouse-Five“).
Ohne die Pointe zu verraten, steht für mich fest: Nolan und seinem Bruder ist es nicht gelungen, die Finger von einem überhitzten Ende zu lassen, das – koste es, was es wolle – die Themen Familie, Liebe und Verlust gewaltsam mit wilden Spekulationen über Gravitation und Quantenphysik zusammenbringen musste. Wissenschaftlich ist das Nonsense, erzählerisch eine kapitale Bauchlandung.

Wenn Cooper am Ende in einem geheimnisvollen Tesserakt tatsächlich Zeit und Raum manipulieren lernt und in seine eigene Vergangenheit zurückreist, beschreibt dies auch das ganze Elend jener Time Travel-Geschichten, die immer wieder der Verführung erliegen, mit einer Reise in die Vergangenheit die Probleme der Vergangenheit und der Gegenwart auf einen Schlag zu lösen. So kommt es leider zu einem Hauptübel der SF, dem Großvater-Paradoxon. Jemand reist in der Zeit zurück, bringt seinen Großvater um, der nun nicht mehr den Vater zeugen kann usw. Kein Wunder, dass sich Nolan aus diesem kruden Plot-Twist nur mit einem harten Schnitt befreien kann: sein Held, eben noch im Schwarzen Loch, wacht einfach im Krankenhaus auf. Teleportation? Mit einem überzeugenden Ende wäre der Erde so mancher Sandsturm erspart geblieben. Vielleicht hat aber auch Arthur C. Clarke Recht:
Jede hinreichend fortschrittliche Technologie ist von Magie nicht zu unterscheiden.“

Kubrick hatte in „2001“ das unlösbare Rätsel des schwarzen Monolithen als unlösbar präsentiert und eine Erklärung verweigert. Am Ende weiß Kubricks Astronaut nicht, was ihm widerfährt. Der Zuschauer auch nicht. Dies kommt den zu erwartenden Realitäten erheblich näher, nämlich dann, wenn wir wirklich mit den Antworten auf die letzten Fragen konfrontiert werden. Wenn diese gefunden werden und wenn wir ganz viel Pech haben, wird nur eine Handvoll Physiker alles verstehen und dies vermutlich nicht einmal verbal kommunizieren können, sondern nur Formeln auf die Schiefertafel schreiben.
Die zwanghafte Umtriebigkeit, mit der in „Interstellar“ eine Lösung für alle Probleme aus dem Zylinder gezogen wird, ignoriert Kubricks intelligenten Gedanken, dass wir von der Evolution keine Sinne mitbekommen haben, die uns ein intuitives Verstehen des Kosmos ermöglichen. Wie sollte dies auch der Fall sein in einer Welt, in der wir vor kurzer Zeit noch Felle getragen haben und mit Keulen durch die Savanne stapften?

Stark ist „Interstellar“ dann, wenn es darum geht, die ethischen, sozialen und physikalischen Dilemmata zu beschreiben, die den Menschen angesichts der absurd erscheinenden physikalischen Gesetze in schwer zu begreifende Extremsituationen bringen. Nolan zeigt klug die Begrenzung des Menschen, der vertraute emotionale Bindungen benötigt, um in der Welt der relativen Zeit, der Wurmlöcher und Schwarzen Löcher zu überleben. Human Interest – ohne diese Dreingabe würde so mancher Zuschauer vermutlich in den Grundfesten seines Bildungswissens erschüttert werden. 

Gut ist „Interstellar“ beim Erzählen einer Familiengeschichte, die keineswegs zu sentimental ist, wie einige Kritiker vermuteten. Befriedigen kann der Film durch einen guten Cast, in dem Matthew McConaughey, Mackenzie Fox und auch Casey Affleck besonders auffallen. Befriedigend ist auch der Space-Look. Christopher Nolan gelingen trotz einiger Logiklöcher spektakuläre und verblüffende Bilder, darunter ein Schwarzes Loch, wie wir es noch nie gesehen haben. Aber insgesamt ist „Interstellar“ mit seinem Space-Look weniger spektakulär als „Gravity“, auch das überrascht.
Mau wird es beim gelegentlich zu pathetischen Soundtrack (Orgeln!) von Hans Zimmer (der übrigens in der deutschen Fassung elendig laut abgemischt wurde). Zimmer hat die Musik ohne Kenntnis des Drehbuchs geschrieben.
Das Ende floppt leider, kann aber nicht das Gefühl beschädigen, einen außergewöhnlichen Film gesehen zu haben. Allerdings schöpft „Interstellar“ sein Potential nicht ganz aus. Man wird sich diesen Film noch einige Male anschauen müssen.


Pressespiegel


„Tatsächlich ist ‚Interstellar’ so sensibel wie klug, so anspruchsvoll wie unterhaltsam - dies ist Kino, wie es sein soll, und wahrscheinlich der beste, jedenfalls der interessanteste Science-Fiction-Film seit "Matrix".“ 

Rüdiger Suchsland auf: heise.de

„Nolan scheitert am Versuch, seine fantastische Reise wissenschaftlich fundieren zu wollen und gleichzeitig seinen zahlreichen Kino-Vorgängern und Inspirationen gerecht zu werden, von "Oz" bis "Odyssee". Dabei brilliert und verblüfft er, wie schon in seinen Batman-Filmen und natürlich in "Inception" oder "Memento", immer wieder im Detail.  Das große Ganze aber, Herz und Zusammenhalt seiner Story, verliert er aus den Augen.“
Andreas Borcholte auf. SPIEGEL ONLINE

Noten: BigDoc, Klawer = 2


Interstellar - USA 2014 Regie: Christopher Nolan Buch: Christopher & Jonathan Nolan Darsteller: Matthew McConaughey, Anne Hathaway, Michael Caine, John Lithgow, Mackenzie Foy, Jessica Chastain, Casey Affleck, Ellen Burstyn, Wes Bentley, David Gyasi Länge: 169 Minuten Altersfreigabe: ab 12 Jahren