Freitag, 12. September 2014

Der blinde Fleck

„Akte X“ lässt grüßen. In Daniel Harrichs „Der blinde Fleck“ wird ein Terroranschlag auf deutschem Boden verübt und die Ermittlungsbehörden bis hin zum Generalbundesanwalt tun scheinbar alles, um Zeugen zu manipulieren, Hintergründe zu vertuschen und der Öffentlichkeit eine windige Einzeltäter-Theorie zu präsentieren. Wichtige Beweise verschwinden aus der Asservatenkammer, und wie in der Watergate-Affäre und den X-Files spielt ein deutscher „Deep Throat“ einem Journalisten Verschlussakten zu. Fehlt nur noch der „SmokingMan“. Aber es kommt noch schlimmer in dem hervorragenden deutschen Polit-Thriller.

Wäre der Film pure Fiktion, hätte man vor einigen Jahren sicher den Kopf geschüttelt. Doch seit der NSU-Affäre hat sich gezeigt, dass die Wirklichkeit das Kino mühelos überholen kann, wenn sie sich richtig ins Zeug legt. 

Vorab die Prämisse: Es gibt Filme, bei denen Settings und Ausstattung, Kostüme und falsche Bärte, Kamera und Montage nicht so wichtig sind wie die Geschichte, die erzählt wird. Diese Filme sind zentrifugal: am Ende schleudern sie alles nach außen, und was jenseits des Kinos passiert, ist entscheidend. Und das hat den Kritiker dann zu interessieren. Daniel Harrichs Film „Der blinde Fleck“ ist so ein Film. Deshalb hat die folgende Kritik einen dicken Anhang.


Zunächst führt die Reise zurück ins Jahr 1980. Während des Münchner Oktoberfestes explodiert eine mit TNT gefüllte Rohrbombe. 13 Menschen werden getötet, 200 zum Teil schwer verletzt. Kurz danach wird der 21-jährige Gundolf Köhler als Täter präsentiert. Obwohl der bei dem Anschlag ums Leben gekommene Student enge Verbindungen zur rechtsextremen Wehrkampfgruppe Hoffmann hatte, verschwinden viele wichtige Zeugenaussagen zu diesem Aspekt aus den Ermittlungsakten, Hinweise, die einen Anfangsverdacht erhärten könnten.

Dies schmeckt Ulrich Chaussy (Benno Fürmann), einem Journalisten des Bayerischen Rundfunks, nicht. Zu viele Fragen sind offen geblieben und Chaussy beginnt zusammen mit Werner Dietrich (Jörg Hartmann), dem Rechtsanwalt einiger Opfer, die möglichen Hintergründe zu erforschen. Als Chaussy die ersten Erkenntnisse in seinen Rundfunkbeiträgen der Öffentlichkeit präsentiert, stürmt eine schwerbewaffnete Sondereinheit der Polizei seine Wohnung. Chaussy wird verhört und soll preisgeben, wo er (sic!) den Sprengstoff (sic!) versteckt hat! Mit dieser Polizeiaktion beginnt der Film und der Zuschauer weiß bereits nach wenigen Minuten, wohin Daniel Harrich den Film steuern will.


Prominentes Schauspieler-Ensemble

Benno Fürmann spielt den investigativen Journalisten Ulrich Chaussy mit überzeugender Hingabe. Sein reales Vorbild agierte vor 34 Jahren in der Tradition der US-Journalisten Bob Woodward und Carl Bernstein, die für die Washington Post die Watergate-Affäre aufdeckten. Fürmann vermittelt überzeugend den obsessiven Fokus dieses Mannes, der nicht aufgeben kann und ähnlich wie Robert Graysmith (1), einer der Jäger des Zodiac-Killers, bereit ist, sein Leben für die Aufklärung des Falles aufs Spiel zu setzen. Nicht weniger engagiert ist Jörg Hartmann als Anwalt Werner Dietrich. Hartmann verkörpert einen zunehmend verunsicherten Spurensucher, der rasch an die Grenzen seiner psychischen Belastbarkeit stößt. Zu gefährlich scheint die Nähe zu geheimen Strukturen im bayerischen Bundesland zu sein.

Der heimliche Star des Films ist jedoch Heiner Lauterbach, der unaufdringlich, aber dennoch Angst einflößend den Leiter des Bayerischen Verfassungsschutzes Dr. Hans Langemann spielt. Harrich, der zusammen mit Chaussy das Drehbuch verfasst hat, sind für die Figur einige brillante Szenen eingefallen. Zum Beispiel jene, in der Langemann als Dozent seinen Polizeischülern erklärt, wie geheime Terrorzellen funktionieren: sie manipulieren potentielle Attentäter, um danach alle Fäden zu kappen. Eine beinahe prophetische, aber auch suggestive Aussage.
Dass Langemann damals manipulativ die Medien zu steuern versucht hat, gilt heute jedoch als sicher. In „Der blinde Fleck“ spielt Udo Wachtveitl (Tatort-Kommissar „Franz Leitmayr“) den Quick-Reporter Werner Winter, der von Langemann in einen geheimen Kreis von Journalisten aufgenommen wird, denen exklusive und auch vertrauliche Informationen durchgestochen werden. 
Kritisch wird es in dem Film allerdings, wenn Harrich zeigt, dass der bayerische Ministerpräsident Franz-Josef Strauß dem „zweitmächtigsten Mann in Bayern“ (Langemann) verklausuliert die Anweisung gibt, die Ermittlungen nach dem Anschlag im Sinne der Landesregierung zu beeinflussen. 
Der Hintergrund: Strauß und andere CSU-Politiker hatten die Wehrkampfgruppe Hoffmann verharmlost und konnten kurz vor einer Bundestagswahl kaum daran interessiert sein, dass der Wolf im Schafspelz sein wahres Gesicht offenbart. Offen gestanden kann ich angesichts des brisanten Sujets wenig mit einer Szene anfangen, die faktisch nicht restlos abgeklärt ist, aber als historisch authentisch vermittelt wird. Der reale Langemann versicherte 1980 übrigens in einer eidesstattlichen Erklärung, dass Strauß die Wehrkampfgruppe als gefährlich eingeschätzt habe.
Honi soit qui mal y pense.

Wachtveitls Tatort-Kollege Miroslav Nemec spielt in einer Nebenrolle den Generalbundesanwalt Kurt Rebmann, der sich Langemanns Einzeltäter-Hypothese anschließt. Den „Deep Throat“-Part übernimmt gelungen geheimnisvoll August Zirner, der für den Verfassungsschutz arbeitet und als „Meier“ lange Zeit offen lässt, ob er Chaussy in Langemanns Auftrag manipulieren will oder vielmehr gegen seinen Chef intrigiert. Einen eher undankbaren Part übernimmt dagegen Nicolette Krebitz, die als Chaussys Frau Lise zunächst als loyaler Stichwortgeber fungiert, dann aber schwanger wird und ihren Mann kurz vor dem endgültigen Durchbruch in dem Fall so lange unter Druck setzt, bis er die Recherchen vorübergehend einstellt.


Die Fakten stimmen

Insgesamt hinterlässt „Der blinde Fleck“ einen gut recherchierten Eindruck. Der Film spielt clever mit dem ambivalenten Informationsgemenge, das auch Jahre nach dem Anschlag nicht restlos aufgelöst werden konnte. Sicher, einige Schlüsselfiguren waren undurchsichtig: So berichtete ein Zeuge, dass er den mutmaßlichen Täter Köhler vor dem Anschlag mit zwei anderen Personen beobachtet habe. Dieser Zeuge war möglicherweise undercover im Einsatz und sollte den BHJ (Bund Heimattreuer Jugend) unterwandern. Er starb zwei Jahre später unter mysteriösen Umständen an Herzversagen. Andere Zeugen, und das wird in Harrichs Film auch deutlich, waren ebenfalls zweifelhaft, andere sind dagegen als glaubwürdig einschätzen.

War der Bayerische Verfassungsschutz dem Politiker Strauß gefällig? Welche Motive hatte Rebmann oder ließen die damals vorliegenden Beweise keine anderen Schlussfolgerungen zu? In dem Gewebe aus historischen Fakten und fiktionalen Elementen verliert „Der blinde Fleck“ selten den Überblick, obwohl zeithistorisch nicht vorinformierte Zuschauer gelegentlich Probleme bekommen werden. Gelegentlich hätte ich mir ein etwas langsameres Montagetempo gewünscht. In Harrichs Film wird mit schnellem Cross-Cutting ein wenig zu stark aufs Gaspedal gedrückt, besonders, wenn Sequenzen stark zergliedert werden und auch dann, wenn Zeitsprünge stattfinden.

Fans der Paranoia-Movies à la Alan J. Pakulas „Parallax View“ werden auf jeden Fall auf ihre Kosten kommen. Obwohl Pakukas Film formal und inhaltlich komplexer und damit auch ein Stück unverständlicher war, kann „Der blinde Fleck“ mit dem Klassiker des Verschwörungsfilms gut mithalten. Trotz fehlender physischer Action steigert sich der Thrill langsam, aber dafür umso nachhaltiger: Als Chaussy auf das überraschende Drängen seiner Frau im Jahre 2006 wieder seine Recherchen aufnimmt, hat die Forensik dank DNA entscheidende Fortschritte gemacht. Endlich kann auch jene abgerissene Hand untersucht werden, die 1980 keinem der Toten und Verletzten zugeordnet werden konnte. Man muss beinahe grinsen, wenn Chaussy schriftlich den Bescheid erhält, dass diese Asservate bereits vor fast 10 Jahren vernichtet wurden. Tatsächlich hatte man auch fast 50 Kippen entsorgt, die in Köhlers Auto gefunden wurden und zu sechs verschiedenen Sorten gehörten.

Ob Gundolf Köhler nun ein Einzeltäter war, der mit dem Bombenanschlag die bevorstehende Bundestagswahl zugunsten der konservativen Parteien im Sinne einer „Strategie der Spannung“ (vgl. Anhang) beeinflussen wollte oder ein von sogenannten Stay-behind-Gruppen des BND aus unerfindlichen Gründen angeheuerter und gesteuerter Killer gewesen ist, wird auch in Zukunft eine Frage sein, die beantwortet werden muss. Sowohl die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen als auch Die Linke haben in den letzten Jahren in Kleinen Anfragen immer wieder nachgehakt.
Hans Langemann wurde übrigens1982 festgenommen, weil er vertrauliche Informationen an die Medien weitergeben hatte. Er wurde zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten auf Bewährung verurteilt, die deshalb so niedrig ausfiel, weil ein Gutachter ihm bescheinigte, dass er unter Stimmungsschwankungen leide und häufig weinen müsse.

Diese Gefühle können einen allerdings auch überkommen, wenn man Daniel Harrichs Film erst mit Staunen und dann mit aufgerissenen Augen anschaut. „Der blinde Fleck“ wurde mittlerweile im Bayerischen Landtag vorgeführt. Die Ermittlungen werden nun wohl wieder aufgenommen, Verschlussakten über den Anschlag auf dem Oktoberfest 1980 werden freigegeben.
2011: In einer der letzten Szenen flimmern die Bilder der Explosion in einem Zwickauer Haus über den Bildschirm. Bilder, die noch einmal mit dem Finger auf die Botschaft des Films zeigen: Es ist alles schon einmal passiert. Merkwürdige Ermittlungen, manipulierte Abschlussberichte. Etwa steht fest: Die Wirklichkeit ist noch schlimmer als sie das Kino ausdenken kann.


Fußnoten:

(1) Wie auch Graysmith (der in David Finchers „Zodiac“ von Jake Gyllenhaal gespielt wird) wird sich Daniel Chaussy zeitlebens mit dem Fall beschäftigen. 2014 hat er das Buch „Oktoberfest - Das Attentat. Wie die Verdrängung des Rechtsterrors begann“ veröffentlicht.

Anhang

„Gladio“ und die geheimen Armeen in Europa

Der eigentliche Horror beginnt mit den Recherchen zu dem Film. Dazu muss man allerdings nicht in die 1980er Jahre zurückgehen, sondern weiter ausholen. 
Bereits kurz nach dem Zweiten Weltkrieg gründeten US-Geheimdienste auf deutschem Boden Stay-behind-Organisationen (1). Darunter versteht man Geheimarmeen, die im Falle einer militärischen Auseinandersetzung den Feind (gemeint war in den 1950ern natürlich eine russische Invasion) mit Partisaneneinsätzen bekämpfen sollten. Im Nachkriegsdeutschland wurden zu diesem Zweck in nicht geringem Umfang SS-Männer und einschlägig qualifizierte Wehrmachts-Offiziere rekrutiert, die sich unterschiedlich tarnten und geheime Waffendepots anlegten. Dass viele der angeworbenen ‚Experten’ fanatische Nazis waren, störte nicht weiter. Historiker gehen davon aus, dass die Regierung Adenauer nichts oder nur wenig davon wusste. Zudem war zu diesem Zeitpunkt der BND noch nicht gegründet worden. Nach dessen Gründung im Jahre 1956, so das ZDF, wurden die Stay-behind-Netzwerke Teil des neuen deutschen Geheimdienstes. Reinhard Gehlen soll sogar darüber nachgedacht haben, Listen nicht nur von kommunistischen, sondern auch von sozialdemokratischen Politikern zusammenzustellen, die ggf. von den Stay-behind-Gruppen zu liquidieren seien. Damit wäre die Partisanenarmee in Friedenszeiten gegen legitim gewählte Politiker in Stellung gebracht worden. Ein Sumpf.

Charakteristisch für die weitere Entwicklung waren zwei Aspekte:
1. Einerseits die dauerhafte Anonymität und die damit verbundene fehlende parlamentarische Kontrolle derartiger Geheimorganisationen ‚hinter’ den offiziellen Diensten, andererseits der Ideologiewechsel innerhalb der verschiedenen Gruppen, zunächst vor dem Hintergrund des Kalten Krieges, später wohl aus anderen Gründen.
So verstand in den 1950er Jahren der ehemalige Oberst der Wehrmacht Walter Kopp seine Aktivitäten als Fortsetzung des Rassenkrieges, während sich in Italien anti-kommunistische Gruppen an Terroranschlägen beteiligten, die anschließend der Kommunistischen Partei in die Schuhe geschoben werden sollten.
2. Die zunehmende Involvierung der Nato und der CIA in diese Geheimaktivitäten. Organisationen wie die italienische „Gladio“ handelten offenbar auch im Auftrag der Nato und der CIA. Alle diese geheimen Armeen, von denen die Parlamente nichts wussten, werden heute für zahlreiche unterschiedlich motivierte Terroranschläge in ganz Europa verantwortlich gemacht.

1990 enthüllte der italienische Ministerpräsident nicht ganz freiwillig dem italienischen Senat die Existenz der Stay-behind-Gruppen. In Italien sei die Organisation „Gladio“ als Unterabteilung des Verteidigungsministeriums gegründet worden. Als Teil des militärischen Geheimdienstes, so Andreotti, sei sie immer noch aktiv. „Gladio“ wurde nach heftigen Protesten angeblich aufgelöst, aber weitere Einlassungen Andreottis deuteten an, dass weitere Geheimarmeen existieren, die von einem geheimen Ausschuss der Nato koordiniert und von der amerikanischen CIA und dem britischen MI5 ausgerüstet und koordiniert werden.

In Deutschland stellte die Regierung Kohl fest: „Eine Nato-Geheimtruppe Gladio gibt es nicht!“ Nach diesen anfänglichen Dementis musste nicht nur Deutschland, sondern auch andere europäische Regierung die Richtigkeit von Andreottis Enthüllungen einräumen: Stay-behind-Armeen existierten demnach auch in Frankreich, Spanien, Portugal, Griechenland, Türkei, Belgien, Luxemburg, Niederlande und Norwegen, aber auch in neutralen Ländern wie Schweden, Schweiz, Österreich und Finnland, wie der Schweizer Historiker Daniel Ganser 2004 resümierte (2). Nun gab auch Kohl klein bei und sagte zu, dass die Stay-behind-Gruppe des BND bis 1991 aufgelöst werden solle. Der britische „Observer“ (3) sprach später vom „bestgehüteten, gefährlichsten politisch-militärischen Geheimnis seit dem Zweiten Weltkrieg.“


Die „Strategie der Spannung

Doch was unternahmen Organisationen wie „Gladio“ tatsächlich?
Zunächst, so Ganser, geht es um die Frage, „unter welchen historischen Umständen die Geheimarmeen zu Terrorzellen werden konnten, welche Ziele mit den Terroranschlägen verbunden waren und in welchem Grad diese Mutation lokal erfolgte oder vom Pentagon, von der Nato, von der CIA oder vom MI6 planmäßig ge-steuert wurde.“
Eine Erklärung wurde vom italienischen Richter Felice Casson geliefert. Die von ihm aufgedeckte Ideologie trug den Namen „Strategie der Spannung“, die laut Casson darauf abzielt(e), „innerhalb des Landes Spannung zu erzeugen, um konservative, reaktionäre soziale und politische Strömungen zu stärken.“ Die Aktione bestanden aus tatsächlich durchgeführten blutigen Terrorakten, die den Linken untergeschoben wurden, um einer rechtsnationale Law-and-Order-Politik die erforderliche Begründung zu liefern.
„Man musste Zivilisten angreifen, Männer, Frauen, Kinder, unschuldige Menschen, unbekannte Menschen, die weit weg vom politischen Spiel waren. Der Grund dafür war einfach. Die Anschläge sollten das italienische Volk dazu bringen, den Staat um größere Sicherheit zu bitten. […] Diese politische Logik liegt all den Massakern und Terroranschlägen zu Grunde, welche ohne richterliches Urteil bleiben, weil der Staat sich ja nicht selber verurteilen kann“, gibt Ganser eine Aussage des Terroristen Vincenzo Vinciguerra wieder, der bis heute darauf besteht, im Auftrag des Staates gehandelt zu haben.

Angesichts dieser Ungeheuerlichkeiten müssen drei Fragen beantwortet werden. 1. Welche Taten gehen auf das Konto von Stay-behind-Organisationen im übrigen Europa? 2. Inwieweit ist die Bundesrepublik in Strukturen verwickelt, innerhalb derer es zu einer Zusammenarbeit von Stay-behind-Gruppen, Rechtsextremisten und Bundes- und Landesbehörden gekommen ist? Und drittens: Haben sich einige Gruppen möglicherweise von ihrer Puppenspielern gelöst und sind eigene Wege gegangen? Die Antworten darauf sind spannend.

Als sicher gilt, dass eine „Counter-Guerilla“ im Auftrag der Nato und der CIA in der Türkei Kurden bekämpfte, 1977 am Taskim-Platz-Massaker beteiligt war und in nicht geringem Maße politische Gegner gefoltert hat, was der damalige türkische Ministerpräsidenten Bülent Ecevit seinem militärischen Bündnispartner mehrfach empört vorgeworfen hat. Zudem soll die griechische Geheimarmee LOK am Militärputsch 1967 beteiligt gewesen – in enger Kooperation mit dem Geheimdienst KYP.

In Deutschland wurden ähnliche Strukturen bereits Anfang der 1950er Jahre von einem ehemaligen SS-Mann enthüllt. Bei uns hieß die Stay-behind-Organisation zunächst euphemistisch „Bund Deutscher Jugend – Technischer Dienst
(BDJ-TD). Im Fokus standen – wen wundert’s – besonders KPD- und SPD-Mitglieder, die im Ernstfall liquidiert werden sollten, eine Idee, die Gehlen später übernehmen sollte. Als daraufhin einige Mitglieder der BDJ-TD verhaftet wurden, ordnete die Bundesanwaltschaft die Freilassung aller Terroristen an, was der hessische Ministerpräsident August Zinn hämisch mit dem Hinweis kommentierte, dass dies wohl auf Anweisung der Amerikaner geschehen sei.

Wie in einem amerikanischen Paranoia-Movie wähnt man sich auch angesichts des fehlgeschlagenen Attentats auf das jüdische Gemeindehaus in West-Berlin am 9. November 1969, den die „Berliner Zeitung“ im Jahre 2005 (4) als „vielleicht größten Skandal seiner Art in der Geschichte der alten Bundesrepublik“ bezeichnete. Die Aktion ging auf das Konto der linksextremen „Tupamaros Westberlin“ (TW) und ihres Initiators Dieter Kunzelmann, der offenbar ein bekennender Antisemit war. Inwieweit der Berliner Verfassungsschutz mit einem namentlich bekannten Agent provocateur beteiligt war und aus welchen Motiven, wurde später von Wolfgang Kraushaar in seinem Buch „Die Bombe im jüdischen Gemeindehaus“ verarbeitet. Es basiert auf Aussagen des verantwortlichen TW-Bombenlegers und dokumentiert laut „Berliner Zeitung“, dass der Berliner Verfassungsschutz aus unerfindlichen Gründen daran interessiert war, die linken Extremisten zu provozieren.
 

Schwer zu beantworten lässt sich dagegen die Frage, wann und wo sich gefährliche Geheimkommandos der Steuerung entzogen haben. In einem Milieu, in dem Täuschung und Verrat zum Handwerkszeug gehören, dürfte dies nicht selten der Fall gewesen sein. Wann und wie dubiose Verbindungen von Behörden, Verfassungsschützern und Extremisten bestanden oder bestehen, ist allerdings kein Stoff für Historiker, auch wenn dies viele deutsche Politiker wünschen. 
Interessant ist jedenfalls, dass nach der BDJ-TD-Affäre fortan die Verbindungen deutscher Stay-behind-Organisationen zur rechtsextremen Szene in Deutschland nicht mehr konsequent untersucht worden sind. 

München und die Hintergründe

Zurück zum Anschlag auf das Oktoberfest. Für den Bombenanschlag auf das Münchener Oktoberfest wurden Materialien aus einem Sprengstofflager der rechtsextremen Wehrsportgruppe Hoffmann verwendet. Profi-Sprengstoff, wie Waffenexperten feststellten. Kurz nach dem Anschlag ging Generalbundesanwalt Kurt Rebmann noch davon aus, dass Köhler kein Einzeltäter gewesen sei. Später wurde diese Auffassung revidiert.
Allerdings liegen dem ZDF bislang geheim gehaltenen Akten des BND vor, die belegen, dass die Wehrsportgruppe Hoffmann kurz vor dem Münchner Attentat zusammen mit italienischen Rechtsextremisten im Libanon in einem Terrorcamp der christlichen Falange ausgebildet worden war. Dabei wurde auch, laut BND, über Anschläge in Deutschland gesprochen.
1980, und das macht die Sache mysteriös, fand eine gemeinsame Operation der der Stay-behind-Gruppe des BND und der von Helmut Kohl als nicht-existent bezeichneten „Gladio“ statt – kurz vom dem verheerenden Bombenattentat in Bologna. Ein blinder Fleck, denn so freimütig Sprecher des BND heute über Stay-behind-Gruppen ihres Dienstes in Interviews sprechen – die Zusammenarbeit ihrer geheimen Partisanenarmee mit einer mafia-ähnlichen Terrororganisation wird immer noch nicht kommentiert.
 

Bereits im September 1980 sagten zwei Neo-Nazis über den Förster Heinz Lemke aus, dass dieser geheime Waffendepots in der Lüneburger Heide besitzt. Eine Hausdurchsuchung bleibt ergebnislos, später aber wurden riesige Waffenlager im Wald entdeckt, darunter auch militärisches Material. Lemke wird verhaftet. Kurz vor seinem ersten Verhör findet man ihn in seiner Zelle – erhängt.
Kurt Rebmann stellte anschließend lapidar fest, dass auch Lemke ein Einzelkämpfer gewesen sei, der sich im Falle einer russischen Invasion halt nur habe wehren wollen.

Was aber ist in München nun tatsächlich passiert? Ob hier im Rahmen der „Strategie der Spannung“ ein Anschlag geplant und durchgeführt wurde, gehört in den Bereich der Spekulation. Ulrich Chaussy hält die Beweislage für dünn. 10 Jahre gingen ins Land, dann folgte Andreottis Auftritt vor dem italienischen Senat.

Immerhin schien im Jahre 1990 das Europäische Parlament so massiv beunruhigt zu sein, dass es in einer Sonderdebatte gegen die Nato und die beteiligten Geheimdienste protestierte. Im Amtsblatt Nr. C 324/201 (5) forderte das Parlament die Auflösung aller militärischen und paramilitärischen Geheimstrukturen, „die in bestimmten Mitgliedsländern mit schwerwiegenden Terrorakten und Verbrechen in Verbindung gebracht werden.“

Damit nicht genug. Auch die deutsche Politik beschäftigte dieses Problem, und damit auch die vermeintlich aufgelösten Geheimarmeen, bis ins Jahr 2013. In einer Kleinen Anfrage (6) der Fraktion Die Linke wurde 2013 das Thema explizit in Zusammenhang mit den Ereignissen des Münchner Oktoberfestes gebracht und erneut die Aufdeckung der Aktivitäten von „Gladio“ gefordert.

Hintergrund der Anfrage war, dass im Luxemburger Bombenleger-Prozess ein Zeuge die Aussage gemacht hatte, dass der Bundesnachrichtendienst (BND) „an mehreren Bombenanschlägen in Europa und (...) auch für das Attentat auf das Münchner Oktoberfest im Jahr 1980 verantwortlich“ gewesen sei. Kurz zuvor hatte die Fraktion bereits eine Kleine Anfrage an die Bundesregierung gerichtet, die in ihrer Antwort darauf verwies, dass die historische Forschung für eine Klärung zuständig sei. Und nach einer erneuten Anfrage verneinte die BR einen Zusammenhang zwischen dem Anschlag auf dem Münchner Oktoberfest und dem BND. 

Ob die Feststellung der BR, dass „das Informationsinteresse des Parlaments hinter die berechtigten Geheimhaltungsinteressen“ zurücktreten muss, allgemeiner Natur war oder explizit den Gegenstand der Anfrage meinte, ist in diesem Zusammenhang eine unvermeidliche Frage. Immerhin räumte die BR ein, dass die Stay-behind-Organisation des BND aufgrund der Prüfung der Altunterlagen, sofern noch vorhanden, an sechs geheimen Übungen und Operationen teilgenommen hat. Weitere Informationen wurden nicht offengelegt. „Eine unabgestimmte Bekanntgabe solcher Informationen (...) kann dazu führen, dass die Verlässlichkeit des BND als Partner auch aktuell in Frage gestellt würde“, fasste die BR ihre Antwort zusammen.

Sichtbar wird hier, wie komplex die lange vermisste parlamentarische Kontrolle von Geheimdienstaktivitäten im Einzelfall ausfällt. Welche Konsequenzen daraus zu ziehen sind, ist nicht Aufgabe dieses Textes. Notwendige Antworten mag sich jeder Leser im Zeitalter von NSA und NSU, Aktenschredderei und der Notwendigkeit des Anti-Terrorkampfes selbst geben. Dass die Rezeption eines Films wie „Der blinde Fleck“ weit über die Grenzen cineastischer Fragestellungen hinausgeht, ist aus den dargelegten Gründen eine erforderliche Einsicht.
Dass weder mir noch den anderen Mitgliedern des Filmclubs Begriffe wie „Gladio“ und Stay-behind-Netzwerke bekannt waren, wird an dieser Stelle freimütig zugegeben. Auch in meinem ansonsten gut informierten Freundes- und Bekanntenkreis lautete der Tenor: Nein, noch nie gehört. Mittlerweile hat sich weniger Erstaunen, sondern vielmehr Fassungslosigkeit bei uns breit gemacht. Den Machern von „Der blinde Fleck“ ist für diesen Erkenntnisgewinn zu danken. Dass alles seit Jahren im Internet mühelos zu recherchieren ist, ist ein anderes Thema ...


Fußnoten /Quellen:

(1) ZDF-Mediathek (2014) „Stay-behind - Die Schattenkrieger der NATO“

(2) Daniele Ganser:
Nato-Geheimarmeen und ihr Terror, in: „Der Bund“, 20.12.2014. PDF, abgerufen am 11.09.2014.

(3) vgl. auch The Guardian „Secret agents, freemasons, fascists... and a top-level campaign of political 'destabilisation'“, 5.12.1990, abgerufen am 11.09.2014.

(4) Gerd Koenen in Berliner Zeitung: „Rainer, wenn du wüsstest!“, 06.07.2005, abgerufen am 11.09.2014.

(5) Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften v. 20.09.1990, abgerufen am 11.09.2014.

(6) Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE zu „Maßnahmen der Bundesregierung zur Aufdeckung der Tätigkeiten von Gladio“


Anmerkungen:

„Die Strategie der Spannung (italienisch strategia della tensione) ist ein 1990 in Italien bekannt gewordener Begriff für eine Reihe unter „falscher Flagge“ inszenierter terroristischer Aktivitäten von italienischen Geheimdiensten, Rechtsextremisten, der NATO/CIA-Geheimorganisation Gladio und der Geheimloge Propaganda Due (P2). Diese hatten das Ziel, die öffentliche Meinung zu Ungunsten der politischen Linken zu manipulieren, insbesondere der Kommunistischen Partei Italiens. Weil sich ähnliche Vorgänge auch in anderen Ländern nachweisen ließen, wird der Begriff mittlerweile generell für bestimmte staatsterroristische Aktivitäten verwendet, siehe Strategie der Spannung (Wikipedia: Strategie der Spannung (Italien)).“ 
Quelle: Wikipedia, vgl. Links.

„... die Fakten selbst sind polemisch und lassen den Zuschauer hilflos empört zurück. Eine gefährliche Nebenwirkung sollte allerdings nicht verschwiegen werden: Der blinde Fleck ist in keiner Weise geeignet, das Vertrauen in den Rechtsstaat zu fördern und den Bürger volkspädagogisch zu ertüchtigen. Schon damals zeigten sich für Chaussy dieselben Muster wie beim NSU-Prozess: Die Hüter der Verfassung lieben das Dunkle und fühlen sich als "tiefer Staat", als Arkanum der Macht. Dass der Verfassungsschutz rechte Gewalttäter nachlässiger ins Visier nimmt als linke Staatshasser, ist nur eine Vermutung, aber bei Chaussy spricht manches dafür.“
Thomas Assheuer über „Der blinde Fleck“, in: DIE ZEIT

Nach der Lektüre dieses Beitrages machte mich ein befreundeter Rechtsanwalt auf den Absturz der Itavia-Flug 870 aufmerksam, die 1980 von einer Luft/Luft-Rakete abgeschossen wurde. Dies kam erst nach jahrelangen Ermittlungen heraus. Fest steht, dass vor dem Abschuss ein Luftkampf zwischen Nato-Kampfflugzeugen und libyschen MiG-23 stattgefunden hatte. Die sehr realistischen Verschwörungstheorien und die Involvierung der Geheimdienste beschäftigen das Land noch heute. Zwischen 1980 und 1995 starben fast ein Dutzend Zeugen, einige davon standen unmittelbar vor einer erneuten Aussage. Auch das könnte einen interessanten Kinofilm abgeben.

Noten: Klawer, Melonie, Mr. Mendez, BigDoc = 2