Mittwoch, 18. Juni 2014

True Detective

HBO hat es wieder geschafft. Der Garant für Quality TV machte es wie so oft. Man ließ die Macher werkeln, griff nicht in die Produktion ein und präsentierte am Ende den achtteiligen Höllenritt zweier kaputter Ex-Cops in die finsteren Sümpfe von Südlouisiana, der in den USA wie eine Bombe einschlug. 
„True Detective“ ist die Serienentdeckung des noch jungen Sommers. Für deutsche Zuschauer absolut ungeeignet.

Am Anfang finden Hart und Cohle, zwei Cops wie Hund und Katze, die Leiche der Prostituierten Dora Kelly Lange. Gefesselt, in betender Position. Auf dem Kopf ist ein Geweih befestigt. Ein merkwürdiges Tattoo auf dem Rücken und geflochtene Ruten neben der Toten deuten ein rituelles Arrangement an. Schon bald wird den beiden Cops klar, dass die Tote nicht zufällig dort abgelegt wurde.
Wir befinden uns in Louisiana, irgendwo im Niemandsland zwischen dem Golf von Mexico und den großen Sümpfen, wo elend lange Straßen durch eine feindliche Landschaft führen, in der verlassen einige Raffinerien stehen. In dieser Gegend verschwinden Menschen. Frauen und Kinder. Richtig ermittelt wird anscheinend nicht. Der White Trash wohnt in heruntergekommenen Hütten, die Oberschicht in weißen Herrenhäusern. Alle sind irgendwie verbandelt, ein Hauch von Inzest und Morbidität liegt über dem Ganzen. Und Louisiana wird sich immer mehr in einen Vorhof der Hölle verwandeln. Wir befinden uns im Jahr 1995.


Der lange Atem des Erzählens

„True Detective“ wurde 2012 von HBO in Auftrag gegeben. Showrunner ist der relativ TV-unerfahrene Nic Pizzolatto, der alle Drehbücher für die insgesamt acht knapp einstündigen Episoden geschrieben hat. Nun ist es für HBO keineswegs neu, einige Risiken einzugehen. Bereits 1997 hatte sich das Pay-TV-Network mit „Oz“ weit nach vorne gewagt, ehe mit „The Sopranos“ das Quality TV zu einem Zeitpunkt erfunden wurde, als es Begriff noch gar nicht gab. Nach weiteren Serienhits folgten dann „The Wire“ (2002) und gegenwärtig räumt der Sender mit „Game of Thrones“ Zuschauerrekorde ab. „True Detective“ ist als Anthologie angelegt, die geplante zweite Staffel wird eine neue Geschichte mit neuen Darstellern erzählen.

„Freshman“ Pizzolatto, ein Literaturprofessor, der bislang nur zwei Episoden für „The Killing“ geschrieben hatte, und Regisseur Cary Fukunaga („Sin Nombre“, 2009, Buch und Regie; „Jane Eyre“, 2011, Regie) haben mit „True Detective“ dem horizontalen Erzählen keine neuen Erkenntnisse hinzugefügt, es aber mit einigen brillanten Facetten ausgestattet und in einen anderen, mehr literarisch geprägten Erzählraum verlegt. Eine Geschichte ohne Subplots in acht Stunden, die eloquent vorführt, was mittlerweile die Spatzen von den Dächern pfeifen: Gute Serien haben einen anderen epischen Atem als Kinofilme – und es gibt in ihnen mehr Raum für formale Experimente und, was wohl entscheidender ist, den Mut zur Länge.

Viel experimentiert wird in „True Detective“ aber eigentlich nicht, auch wenn eine minutenlange ungeschnittene Kamerafahrt am Ende der 4. Episode auf atemberaubende Weise einen Shoot-out einfängt, wie man es seit Brian de Palma nicht mehr gesehen hat. Auch der kongeniale Vorspann erfindet das Rad nicht neu, aber er transzendiert mit seinen zahlreichen transparenten Layern seine Figuren sehr geschmackvoll in die Settings aus Sümpfen, Industrieanlagen, Cajuns und Kirchenzelten evangelikaler Randgruppen. Er ist das Beste, was man seit „Seven“ und „The Wire“ zu sehen bekommen hat. Dazu passt der Opener „Far From Any Road“ von „The Handsome Family“ mit seiner melancholischen Lyrik dann wie die Faust aufs Auge.

Vorbilder lässt „True Detective“ also keineswegs aus. Anders gesagt: Die Bilder und Topoi sind vertraut. Das Geweih an der Toten erinnert ein wenig an eine Szene aus der TV-Serie „Hannibal“, die unheilverkündende Landschaft mit ihren dunklen Geheimnissen an „Texas Killing Fields“, die Gespräche der Cops an „The Counselor“ und ihr tiefschwarzer Pessimismus an „No Country for Old Men“. 


Lange Autofahrten und tiefschwarze Gespräche: Schopenhauer lässt grüßen

Für das Schwarz und die Abgründe des Denkens sorgt Detective Rustin „Rust“ Cohle (Matthew McConaughey) im Alleingang. Der nach dem Tod seiner Tochter und jahrelanger Undercover-Arbeit im Drogenmilieu traumatisierte Cop ist ein psychischer Grenzgänger, der sich einige Male zu oft zugedröhnt hat, an Schlaflosigkeit leidet, synästhetische Erfahrungen macht, gelegentlich halluziniert und dank einer unheimlichen Mischung aus Empathie und Intuition aus Verdächtigen innerhalb kürzester Zeit ein Geständnis herausholt. Erst seit kurzer Zeit arbeitet er mit Martin „Marty“ Hart (Woody Harrelson) zusammen, den er in langen Autofahrten in tiefgründige philosophische Gespräche verstrickt.
Hart ist dagegen der robuste Pragmatiker, kein Mann des Wortes und erst recht keiner, der Bücher liest – ein Familienmensch, ein Wertkonservativer, der versucht, das Auto, das die beiden Cops zu den scheußlichen Tatorten führt, in eine Zone des Schweigens zu verwandeln. Vergeblich. Denn während in David Finchers „Seven“ der Serienkiller den beiden Ermittlern die Konfrontation mit einer nihilistischen Weltsicht aufzwingt, ist es in „True Detective“ der misanthropische Cop, der die Welt verachtet und den Gedanken, dass auf den Tod noch etwas folgen könne, für schier unerträglich hält. Dazu noch das menschliche Bewusstsein für einen Fehler der Evolution, da sich die Natur einen Blickwinkel außerhalb ihrer selbst geschaffen hat. Das ist, so stellt Cohle fest, nicht zu ertragen und die Lösung für die degenerierte Spezies sei es, den Geschlechtsverkehr einzustellen und einfach auszusterben. Die Welt gehört abgeschafft und Schopenhauer lässt grüßen.

2012: Cohle, ein mittlerweile heruntergekommener Barmann, und Hart, der aus dem Polizeidienst ausgeschieden ist und als Privatermittler arbeitet, werden voneinander getrennt von den Ermittlern Papania und Gilbough verhört. 17 Jahre nach der Aufklärung des Mordes Dora Kelly Lange wurde ein totes Mädchen gefunden und der Tatort wurde so arrangiert wie damals. Cohle und Hart haben seit 2002 nach einem massiven Streit keinen Kontakt mehr gehabt, aber die Ermittlungsgespräche führen beide immer tiefer zurück in die Mittneunziger und am Ende auch wieder zusammen.

Die ständig ineinander verschränkten Zeitstränge in „True Detective“ bilden ein Narrativ, das den Spannungsdruck eines kurz vor dem Auseinanderfliegen stehenden Dampfkessels erzeugt. Eine Mischung aus Psychotherapie und Beichte. Papania und Gilbough, die immer wieder bedeutungsschwere Blicke austauschen, sind wider Willen und allein durch ihr Schweigen Therapeuten und Priester. Denn Cohle und Hart
entblättern ihre Seelen. In dem von Matthew McConaughey brillant gespielten Misanthropen beginnt man immer mehr die typische Noir-Figur zu erkennen, hinter dessen Unzugänglichkeit eine Mischung aus rigidem Moralismus und ein beinahe zwanghaftes Gerechtigkeitsgefühl durchscheinen. Sein Antagonist Marty Hart entpuppt sich dagegen als nicht weniger obsessiver Grenzgänger, ein Sexjunkie, der seine Frau betrügt, wenn er mal „Druck abbauen“ will, aber den verhassten „Buddy“ dann doch nicht hängen lässt. Woody Harrelson brilliert als Gescheiterter nicht weniger herausragend als McConaughey und die Performance der beiden Männer gehört absolut zum Besten, was man in den letzten Jahren zu sehen bekommen hat.
Ein existenzielle Parforcejagd mit Ecken und Kanten: Während Cohle und Hart nicht nur zu den Ermittlern sprechen, sondern auch in eine stumme Kamera, werden die Ereignisse des Jahres 1995 in Flashbacks gezeigt, in denen Fakten, Deutungen und Manipulationen der wahren Geschehnisse vermischt werden. Und dann ist es mitunter wieder die Kamera, die eine objektivierende Position einnimmt und zeigt, wie beide Cops einen Mord begehen und erfolgreich vertuschen. Nur was ist die Wahrheit? Kommen die Ermittler den beiden zu nahe oder werden sie, wie Hart lakonisch fragt, bereits von Cohle brillant manipuliert?


Die Philosophie in „True Detective“

Man kann sich darüber streiten, aber „Rusty“ Cohle ist sicher die spannendere Figur in dem Duo. Nic Pizzolatto hat die Figur nicht am Reißbrett entworfen. Einige Textzeilen des pessimistischen Cops stammen mehr oder weniger aus der Feder von Thomas Ligotti, einem Kultautor der Weird Fiction, jener düsteren Mixtur aus Horror und Science Fiction, die von Autoren wie Ambrose Bierce, H.P. Lovecraft und Robert W. Chambers vor über 100 Jahren begründet wurde. Moderne Autoren der Weird Fiction haben alles dann gehörig auf die Spitzen getrieben. Wenn Cohle, über Fotos der malträtierten toten Frauen gebeugt, über den Moment des Todes räsoniert, dass „unser Ich nicht anderes ist als pure Anmaßung und purer Willensdruck und das man loslassen kann“ und den Moment der letzten Qual zur Erkenntnis der Erlösung umdeutet, dann ist das starker Tobak und natürlich setzte es Kritik. Aber anders als bei „The Counselor“ fiel sie recht verhalten aus und besonders in den US-Medien schien sich sogar eine Begeisterung an der Auslegung dieser morbiden Philosophie breit zu machen, angesichts derer sich selbst der Skeptiker Kierkegaard im Grabe umdrehen würde.

„True Detective“ ist und bleibt bei all dem aber eine Copserie. Zunächst jedenfalls. Aber je tiefer die Cops in die Vergangenheit der Opfer und ihrer Familienangehörigen blicken, desto weiter müssen sie in der Zeit zurückgehen und dort wartet nichts Gutes. Denn als die mutmaßlichen Mörder von Dora Kelly Lange bereits in Episode 5 gestellt werden, finden Hart und Cohle auch misshandelte Kinder in einem Verschlag. Einige sind tot und böse Andeutungen über einen „Gelben König“ verweisen auf einen mächtigen Pädophilenring und auf eine Verschwörung, die weit in die 1980er Jahre zurückführt und schließlich mit einer einflussreichen fundamentalistischen Kirche in Verbindung gebracht werden kann.
„The King in Yellow“ geht wiederum auf einen Geschichtenzyklus von Robert W. Chambers zurück. Hart und Cohle, und damit auch der Zuschauer, sind mitten in der wahnsinnigen Welt Chambers und in der bizarren Mythologie Cthulhus, der Shoggothen und Yog-Sothoth gelandet, jener geheimnis- und grauenvollen Wesen, die Lovecrafts Bücher beeinflusst haben.
Das Geheimnis im Geheimnis führt 17 Jahre nach dem ersten Fall die beiden Cops wieder zusammen und endet in einem alptraumartigen Finale, bei dem man am Ende nicht weiß, ob man Cohles halluzinierte Visionen gesehen hat oder eine Realität, die noch fürchterlicher ist als die Grausamkeiten, die zuvor geschehen sind. Die Cop-Serie ist in der Weird Fiction gelandet und am Ende geht es dann wohl um den ewigen Kampf zwischen Licht und Dunkelheit.

Man muss das nicht ernst nehmen, aber merkwürdigerweise gelingt dies nicht. Die Spannung, die „True Detective“ mitsamt der ausgeklügelten Plo-Twists über acht Stunden lang auf einem konstant hohen Level hält, ist schlichtweg atemberaubend. Und das liegt nicht nur an der Geschichte, sondern eigentlich an Matthew McConaughey und Woody Harrelson, die Pizzolattos bizarre Geschichte kongenial umsetzen: Große Schauspielkunst.
Nic Pizzolatto und Cary Fukunaga haben eine Serie geschaffen, die sich mühelos in die Reihe der Global Player der Serienkunst einreiht. Und dafür haben sie sich die perfekten Darsteller ausgesucht. Und die langen philosophischen Diskurse? Nun, man kann Schokolade nicht vorwerfen, dass sie schmeckt.


Nachtrag: Mehr über die versteckten Anspielungen in "True Detective" erfährt man in meinem Beitrag über die Geheimnisse der Serie.


Postscriptum: Cohles Einsichten

  • I think human consciousness is a tragic misstep in human evolution.
    We became too self aware; nature created an aspect of nature separate from itself. We are creatures that should not exist by natural law. We are things that labor under the illusion of having a self, a secretion of sensory experience and feeling, programmed with total assurance that we are each somebody, when in fact everybody’s nobody. I think the honorable thing for our species to do is deny our programming, stop reproducing, walk hand in hand into extinction, one last midnight, brothers and sisters opting out of a raw deal.


Pressespiegel

„Die Serie ist ein visueller Rausch, eine Meisterleistung der Hollywood-Stars Matthew McConaughey und Woody Harrelson. Vor allem: eine Erzählung, so eigenartig verstrickt zwischen Philosophie-Hauptseminar, Gruselgeschichte und roher Gewalt, dass die Zuschauer sich nicht anders zu helfen wussten, als das halbe Internet zu füllen mit Interpretationsversuchen, Querverweisen, Aufschlüsselungen. Andere Sender fanden es unfair, dass True Detective in diesem Jahr bei den Emmys, dem wichtigsten Fernsehpreis der USA, eingereicht wird. Weil die Mitbewerber dann sowieso chancenlos seien“ (DIE ZEIT).

„Es ist der beste Krimi des Jahres“ (Frankfurter Allgemeine Zeitung).

True Detective – HBO, USA 2014 – Länge: 8x 60 Minuten – Idee und Buch: Nic Pizzolatto – Regie: Cary Fukunaga – Kamera: Adam Arkapaw – D.: Matthew McConaughey, Woody Harrelson, Michelle Monaghan