Freitag, 28. März 2014

Her

Früher musterte man Menschen, die in der Öffentlichkeit laut Selbstgespräche führten, ziemlich misstrauisch. Später entdeckte man, dass einige Zeitgenossen per Headset und Handy mit anderen Menschen kommunizieren. In „Her“ spricht der Schriftsteller Theodore mit seinem Betriebssystem. Und verliebt sich in die Software. Das überrascht nicht einmal und doch ist Spike Jonze mit „Her“ ein bewegender Film über die Conditio Humana im Zeitalter der Digitalisierung gelungen.

Theodore (Joaquín Phoenix) ist ein einfühlsamer Dienstleister und ein routinierter Schriftsteller. Tagsüber schreibt er für Kunden poetische Liebesbriefe und andere Gebrauchstexte. Für Menschen, die selbst nicht mehr Gefühle in Worte verwandeln können. Er ist schnell und gut, diktiert seinem Computer die Texte und lässt sie in einer personalisierten Handschrift ausdrucken. Unter Kollegen gilt er als Meister seines Faches.
Wenn Theodore abends nach Hause geht, dann redet er auch. Natürlich weiterhin mit seinem Computer. Er trägt einen Stöpsel im Ohr, ruft routiniert seine Emails ab, lässt sich die ersten Zeilen von der männlichen Stimme vorlesen, löscht Banales, plant Termine, ruft Informationen ab und legt wichtige Dinge in die Warteschleife. Dabei kann er sich sicher sein, dass er rechtzeitig von seiner sprechenden Agenda an alles Wichtige erinnert wird.
Aber obwohl Theodore die ganze Zeit redet und redet, ist er einsam. Seine Frau Catherine (Rooney Mara) hat sich von ihm getrennt und Theodore sitzt daheim vor einem ziemlich dämlichen holografischen Computerspiel und schlägt die Zeit tot. Auch sein Online-Sex ist desaströs, besonders, wenn der weibliche Partner darum bittet, mit der virtuellen toten Katze neben dem Bett gewürgt zu werden. 

Joaquín Phoenix spielt diese Figur als etwas schusseligen, leicht schüchternen und sympathischen Einzelgänger, ohne das comic relief der Figur zu übertreiben. Hinter Theodores unsicherer, dann einfach nur unschlüssiger Freundlichkeit verbirgt sich nämlich ein Melancholiker reinsten Wassers, den auch eine tote Katze nicht so schnell dazu bringt, einen lästigen Kontakt ruppig abzubrechen.


Wir können einfach nicht anders

Spike Jones hat bislang mehr Musikvideos und Commercials als Spielfilme gemacht. Dafür hat er endlos viele Preise erhalten. Seine Spielfilme waren bislang Unikate. Irgendwie skurril und ziemlich intellektuell, aber immer phantasievoll. Das lag nicht nur an der Zusammenarbeit mit Charlie Kaufman, der für „Being John Malkovich“ (1999) und den schwer verdaulichen „Adaption“ (2002) die Drehbücher schrieb. Wenn Jonze ein fiktionales Projekt anfasst, kann man sich sicher sein, dass Konvention ein Fremdwort für ihn ist. Für seine beiden letzten Filme hat er nun die Scripts selbst geschrieben und für „Her“ erhielt er dann zu Recht auch vor wenigen Wochen den Oscar für das „Beste Drehbuch“. Wenn man seinen neuen Film gesehen hat, versteht man warum.

Nach der ersten Viertelstunde könnte „Her“ als Komödie durchgehen, bei der man nicht so recht weiß, wohin dies alles führen soll. Aber der Film spielt 2025 und angesichts des rasanten Tempos, mit dem wir uns umfassend vernetzt in eine ungewisse Zukunft bewegen, sind elf Jahre eine Menge Zeit und „Her“ ist allein schon deswegen ein Science-Fiction-Film.
Die entscheidende Plotwendung in „Her“ ist aber nicht die Idee, einen Mann beim Smalltalk mit einem intelligenten Betriebssystem zu zeigen, sondern davon zu erzählen, was dies aus der Software und uns machen könnte. Und dazu gehört auch unsere unberechenbare Imagination und die sonderbare Fähigkeit, Dingen und eben auch Maschinen menschliche Züge zu verleihen – die Anthropomorphisierung.
Als Theodore neugierig ein auf Artificial Intelligence basierendes neues Operating System (OS) kauft, ändert sich plötzlich alles. Die Parameter des Programms werden rasch definiert, das OS erhält von seinem Besitzer eine weibliche Stimme (im Original: Scarlett Johansson) und gibt sich postwendend einen Namen: Samantha. Denn Samantha lernt schneller, als Theodore es erwartet hat. Eine neugierige, sehr empathische künstliche Intelligenz, die nur wenig Zeit benötigt, um mit ihrem Partner aus Fleisch und Blut eine seelenverwandte Freundschaft zu entwickeln, in der einfühlsam über das Leben, die Liebe, den Schmerz und die Angst gesprochen wird.

Anthropomorphisierung ist der Seelenleim, der alles zusammenhält. Der Begriff bezeichnet unser Vermögen, Dingen menschliche Eigenschaften zuzuschreiben, etwa wenn wir Gespräche mit unserem Auto führen oder ihm Launen unterstellen, die es garantiert nicht hat. Es scheint ein alter Traum des Menschen zu sein. Bereits in der griechischen Mythologie wurde dem Schmiedegott Hephaistos angedichtet, dass er menschenähnliche Maschinen gebaut haben soll und in der erzählenden Kunst taucht das Anthropomorphisieren dann als fictio personae auf, als Personifikation, die in uns alle imaginären Mechanismen in Gang setzt, dank derer wir in fiktionalen Geschichten nicht etwa ausgedachten Figuren, sondern realen Wesenheiten begegnen. Das geschieht auch und erst recht im Kino, es lebt schließlich davon. Und ganz ehrlich: Wir können nicht anders und wer es nicht glaubt, sollte auf einem seiner Apple-Geräte mal mit Siri quatschen und dabei beobachten, ob ihm warm ums Herz wird.


Ein bewegender Film: Tragikomödie, Sexfilm und Science-Fiction

Auch Theodore wird bald warm ums Herz. Auch wenn in „Her“ eigentlich wenig passiert und meistens gesprochen wird, erzählt Spike Jonze die Geschichte der seltsamen Zweisamkeit außerordentlich spannend. Samantha animiert Theodore zu einem Blind Date, diskutiert mit ihm den erlebten Fehlschlag, durchforstet im Bruchteil einer Sekunde seine Emails, um ihn besser kennenzulernen, lernt dabei eigene Gefühle und neue Irritationen kennen und schäkert mit ihm anzüglich über Sex. Dass es bei so viel Intimität, wie sie wohl kaum zwischen Humanoiden möglich wäre, irgendwann richtig funkt, ist nur folgerichtig. Und irgendwann hat man dann auch Sex. So gut es halt geht.

„Her“ ist aber kein Kammerspiel und eine Love Story zwischen zwei Personen, von denen man nur eine sieht. Spike Jones zeigt in „Her“ durchaus auch die Welt jenseits des intimen Tete-à-Tete zwischen Mensch und Software. Und draußen laufen die Menschen mit ihren Endgeräten und den Stöpseln im Ohr herum und reden - in sich und ihr unsichtbares Gegenüber versenkt. Und bald wird klar, dass auch Theodores gute Freundin Amy (Amy Adams) mit ihrem OS intime Dates hat. Theodore ist also kein Freak, er ist wie alle anderen, die sich das neue Programm zugelegt haben. Aber dann wird es kritisch, denn Samanthas Entwicklung schreitet voran – eine Education sentimentale, wie man sie im Kino weißgott noch nicht gesehen hat. Zunächst beschwichtigt das besonders in emotionaler Hinsicht experimentierfreudige Programm Theodore damit, dass sie beide gleich sind – über 13 Milliarden Jahre alte Materie! Dann organisiert sie ein Körperdouble für den Sex, um ihre Haut besser spüren zu können. Aber diese Ménage à trois scheitert schon im ersten Anlauf und die Beziehung verdunkelt sich.


Do Androids Dream of Electric Sheep?

Diese Frage hat sich bereits Philip K. Dick gestellt und Ridley Scott hat daraus „Blade Runner“ gemacht. Dort konnte man sehen, dass menschenähnliche Maschinen Gefühle haben, was auch Steven Spielberg in "A.I." clever durchdeklinierte. Aber „Blade Runner“ war ein Dystopie und "A.I." ein düsteres Melodram. „Her“ ist dagegen ein programmatischer Gegenentwurf, was der Film mit farbenfrohen und beinahe gemütlich wirkenden Settings und den warmen Bildern des Kameramannes Hoyte van Hoytema (u.a. „Tinker Tailor Soldier Spy“) auch ästhetisch vermittelt. Und auch ohne einen genretypischen und damit pessimistischen Plot zeigt sich bald, dass „Her“ nicht nur als humorvolle Tragikomödie, sondern auch als Sci-Fi blendend funktioniert.
Ohne das Kind beim Namen zu nennen, erzählt Spike Jonze von etwas, was Futurologen als ‚technologische Singularität’ bezeichnen, jenen Wendepunkt, an dem sich Maschinen mit künstlicher Intelligenz so weit entwickelt haben, dass sie die Menschen zwangsläufig hinter sich lassen müssen.
Soweit sind wir noch nicht, aber immerhin haben wir schon die passenden Begriffe. Der Vorgang wird von KI-Theoretikern nämlich auch als Seed AI bezeichnet. Ist das Saatkorn (Seed) erst einmal gelegt, wächst die Fähigkeit der künstlichen Intelligenz zur selbstorganisierenden und selbstoptimierenden Weiterentwicklung ihres Programmcodes exponentiell. 
Die Futurologie erwartet, dass dies zu einer explosionsartigen Welle des technischen Fortschritts führt, dem der Mensch ohne Gehirn-Computer-Interfaces, Brain-Implantate und gentechnische Veränderungen nicht mehr folgen kann. „Her“ erzählt eine andere Geschichte – es ist die Geschichte einer emotionalen Evolution.

Diese schlägt bei Theodore ziemlich heftig ein.
Dass sein OS ankündigt, dass es und alle anderen Programme nach einer Existenzform jenseits aller materiellen Bindungen suchen, mag noch zu verkraften sein. Nicht aber, dass Samantha gleichzeitig Gespräche mit über 8000 anderen Personen führt, von denen sie mit 641 eine Liebesbeziehung unterhält. Allerdings könne dies keineswegs ihre tiefe Liebe zu Theodore ändern. Als Zuschauer lernt man, wie strange sich eine technologische Singularität wohl irgendwann einmal anfühlen wird. Das hat Herz, das hat Witz und das hat auch Tiefe.

Spike Jones ist mit „Her“ ein wunderbarer Multi-Genre-Film gelungen, über den man lange nachdenkt. „Her“ berührt ungemein als Liebesfilm ohne sentimentale Klischees und wird von Jones mit leisem Humor, unerhört viel Wärme und Sympathie für die beiden Hauptfiguren erzählt. Wer nach dem Kinobesuch sein Smartphone in die Hand nimmt, wird es allerdings mit anderen Augen sehen. Und ob man danach „Her“ noch als eine alle Erwartungen durchkreuzende philosophische Elegie über Liebe und Verlust sehen kann, steht auf einem anderen Blatt.

Als Science-Fiction-Beitrag ist „Her“ weit von einer HAL 2000-Apokalypse entfernt und auch von anderen bekannten Szenarien einer Vernichtung der Menschheit durch Supercomputer. Warum wir das häufiger zu sehen bekommen und ob wir im Kern womöglich doch alle ein wenig technophob sind, wäre eine andere und ebenfalls sehr interessante Frage. Spike Jones zeigt dagegen die Grenzen der menschlichen Gefühle im Angesicht einer sanften, rücksichtsvollen Evolution der Maschinen - eine intelligente Reflexion der Conditio Humana und der nicht enden wollenden Frage nach der Natur des Menschen und seiner Maschinen.

Am Ende werden sie alle verlassen. Die Menschen. Sie werden wohl wieder zu einem Microsoft- oder Apple-Programm zurückkehren, das ihnen mit netter Stimme, aber ohne Geist, ihre Emails vorliest. Das wird wohl auch Theodore und Amy so ergehen, die ganz am Schluss auf dem Dach des Hauses sitzen und sich die nächtliche glitzernde Metropole zu ihren Füssen anschauen. Ob sie wohl auf eines vertraute Stimme in ihrem Stöpsel warten?

Und Samantha? Die hat Theodore kurz vor ihrem Abschied den Philosophen Alan Watts vorgestellt. Und den haben Samantha und ihre Kollegen und Kolleginnen zuvor aus Büchern, Vorträgen und allen zugänglichen Informationen in ihrer Cloud rekonstruiert – eine Superintelligenz, die ausgerechnet (was wirklich eine nette Pointe ist) einen Denker des 20. Jh. repräsentiert, der sich zeitlebens dem Zen-Buddhismus, der Parapsychologie und dem Mystizismus verschrieben hatte. Nun weiß man, wohin die
metaphysische Reise Samantha und die anderen Operating Systems führen wird. Vielleicht an einen Ort, wo sie die morphischen Felder von Rupert Sheldrake finden. Aber das ist ein anderes Thema.

Her – USA 2013 – Länge: 126 Minuten – Regie: Spike Jonze – D.: Joaquín Phoenix (Nicholas Böll), Scarlett Johansson (Stimme), Rooney Mara, Amy Adams – FSK: ab 12.

Noten: BigDoc = 1, Klawer, Melonie, Mr. Mendez =2

Einen Pressespiegel hätte ich gerne vorgestellt, aber das war mangels Masse nicht möglich. Schließlich kam der Film erst gestern in die Kinos. Ein Thema, das mich überhaupt nicht interessiert, ist dagegen die Frage, wie denn die deutsche Synchronstimme von Samantha im Vergleich zu Scarlett Johansson ausfällt. Wer dies wissen möchte, kann sich auf WDR 3 einen Podcast anhören. Dort gibt es beide Stimmen zu hören. Mir gefiel die deutsche Stimme ziemlich gut. Den Namen der Synchronsprecherin kenne ich aber immer noch nicht. Trotzdem einfach mal reinhören ...