Mittwoch, 26. März 2014

Der Rückblick: Filme Januar – März 2014

„Odd Thomas“ oder doch lieber „12 Years a Slave“? Nur noch ein Bruchteil der Filme erreicht das Kino. Der Rest wandert dank Direct-to-DVD oder Video-on-Demand in die deutschen Haushalte. Was soll man sich anschauen, was nicht? In dieser neuen Rubrik werde ich Filme aus dem jeweils letzten Quartal vorstellen, die im Club entweder auf DVD oder im Kino gesehen worden sind. Überwiegend handelt es sich um kleine Filme, Außenseiter des Kinos, über die im Blog zwar keine Kritik geschrieben wurde, die aber etwas mehr Aufmerksamkeit verdienen. Oder auch nicht.

„The Butler“ schlägt „12 Years a Slave“

Fangen wir gleich mit einer faustdicken Überraschung an: Steve McQueens „12 Years a Slave“ floppte bei uns mit einem ungnädigen Notenschnitt von 3,3. Zwei Wochen zuvor war Lee Daniels „The Butler“ von uns mit einer glatten 2 bewertet worden.
Warum das bei den diesjährigen Academy Awards mit dem Oscar für den Besten Film ausgezeichnete Sklavendrama, das zudem aufgrund seiner autobiografischen Vorlage eine hohe Authentizität für sich reklamieren kann, bei uns auf hohem Niveau scheiterte? Ganz einfach: „12 Years a Slave“ ist langweilig. Die Geschichte Solomon Northups, der in den 1840er Jahren von einer Schlepperbande aus dem sklavenfreien Norden auf eine Baumwollplantage im Süden verfrachtet wird, ist zweifellos politisch korrekt und die moralische Botschaft ist über jeden Zweifel erhaben. Auch der Cast ist mit Chiwetel Ejiofor, Michael Fassbender, Benedict Cumberbatch, Paul Giamatti und Brad Pitt exzellent besetzt und ebenso brillant wurde alles gespielt. McQueens Film ist elegant ins Bild gesetzt worden und auch die Musik Hans Zimmers sorgt dafür, dass keine falschen Gefühle aufkommen. Aber durchkreuzt der Film irgendwann die Erwartungen, die sich beim Zuschauen schnell breit machen? Eher nicht. Und beinahe hatten wir sogar ein schlechtes Gewissen, als wir zu dem Schluss kamen, dass wir das Ganze nicht sonderlich mögen. Alles war eine Spur zu gelackt, zu edel auch dort, wo brutal ausgepeitscht wurde. Und als kurz vor Schluss einer „Django“ murmelte, war es passiert: der unvermeidliche Vergleich mit Tarantinos Trashversion. So senkte sich dann der Daumen: „Django Unschained“ war ehrlicher und direkter.

Lee Daniels führt uns in „The Butler“ keine Abstiegs-, sondern die Aufstiegsgeschichte eines Farbigen vor: Cecile Gaines (außergewöhnlich überzeugend: Forest Whitakers Portrait des realen Eugene Allen) flieht in den 1940er Jahren vor de
r in den Südstaaten immer noch existierenden Sklaverei und arbeitet sich durch Glück und Fleiß zum Chefbutler des Weißen Hauses hoch. Dabei lernt er als stiller Beobachter von 1957 bis 1986 US-Präsidenten wie Eisenhower, Kennedy, Nixon und Reagan kennen, scheitert aber familiär daran, dass er mit dem politischen Status Quo der Schwarzen zufrieden ist und das Engagement seines Sohnes in der Bürgerrechtsbewegung missbilligt.
Vor drei Jahren hatte Daniels die andere Seite unter die Lupe genommen: „Prescious“ war einen tiefer Blick in die Abgründe der schwarzen Unterschicht. Inzest und sexueller Missbrauch, Alkoholismus und Analphabetismus in einer Black Trash Family. Am Ende ein denkwürdiger Akt der Selbstbefreiung mit weiterhin prekären Aussichten. Für „Precious“ gab es zwei Oscars, für „The Butler“ nicht einmal eine Nominierung.
Klar, Daniels bricht die historischen Episoden gelegentlich aufs Anekdotische herunter und einige Figuren (z.B. John Cusack als Nixon) sind etwas grob skizziert. Und doch schien uns die Geschichte trotz dieser inszenatorischer Schwächen die interessantere zu sein. Und zwar aus folgendem Grund: Die Hauptfigur bezahlt ihren Aufstieg mit einem politischen Konservativismus und der Angst, dass die Schwarzen das Erreichte aufs Spiel setzen, wenn sie sich zu weit aus dem Fenster lehnen. Dies immunisiert Gaines in den 1960er Jahren: Mit der schwarzen Bürgerrechtsbewegung kann er nichts anfangen. Eine tragische Geschichte, aber immer spannend erzählt und voller kleiner politischer und historischer Spickzettel, die ins Gedächtnis zurückholen, was man beinahe vergessen hatte. Dafür gab es dann im Filmclub eine glatte 2.


Birth of a Nation – die Rushdie-Verfilmung „Mitternachtskinder“

Trotz der großen Konkurrenz im Frühjahr eines jeden Jahres, wenn nämlich die großen Oscar-Kandidaten im Kino aufschlagen, wurde dieser Film mit einer Note von 1,5 unser vorläufiger Spitzenreiter. Auf eine längere Kritik habe ich diesmal verzichtet. Nicht immer, aber in einzelnen Fällen sollte man bei einer Literaturverfilmung das Buch gelesen haben.

Salman Rushdies 1982 erschienener Roman „Mitternachtskinder“ ist zwar kürzer als der neue Schätzing, galt aber lange Zeit als unverfilmbar. Zu komplex erschien der magische Realismus des Autors, der die Entstehungsgeschichte Indiens und Pakistans irgendwo zwischen Mythos und Fantasy, Geschichtsepos und Telepathie als Generationengeschichte erzählt.
In Rushdies Roman und auch im Film werden die Mitternachtskinder alle in der Mitternachtsstunde des 15.8.1947 geboren, dem Tag der Gründung der indischen Nation. Die Hauptfigur Saleem Sinai ist der Einzige, der die telepathisch Begabten in seinen Gedanken zusammenführen kann und jeder von ihnen wird eine besondere Rolle in der Geschichte Indiens spielen. Unverfilmbar?
 Die kanadischer Regisseurin Deepa Mehta hat das scheinbar Unmögliche versucht und Rushdie selbst hat dazu das Drehbuch verfasst. Das alles schreit nach einer Wikipedia-Lektüre und genau das sollte sich der historisch interessierte Filmfreund auch leisten, denn sonst rauscht der Film mit seinen Auseinandersetzungen zwischen der britischen Kolonialmacht und den aufmüpfigen Untertanen, den späteren Kriegen und Gewaltexzessen, genauso an ihm vorbei wie der blutige Streit zwischen Hindus und Moslems, die Geschichte der Entstehung von Bangladesh und die unrühmlichen Notstandsgesetze von Indira Gandhi.

Wem so viel Lektüre zu viel wird, der wird auch ohne freiwiligen Geschichtskurs zweieinhalb Stunden lang mit einem farbenprächtigen und temporeichen Filmspektakel belohnt. Das kann man sich mit all den Fakiren und Zauberern, den üppigen Settings und grandiosen Landschaftsaufnahmen, als niveauvoll verkitschtes Bollywood à la carte anschauen, andererseits aber auch als humanistische und gleichzeitig ironische Geschichtspoesie: Wahrheit und Wirklichkeit sind nicht immer das Gleiche und manchmal kann ein Poet die Verzahnung der großen Geschichte in der kleinen und umgekehrt besser auf den Punkt bringen als der nüchterne Historiker. Ein empfehlenswerter Film.


Klein, aber fein: „Odd Thomas“ und „The Attack“

Der amerikanische Drehbuchautor und Regisseur Stephen Sommers ist bislang mit brachialen und überkandidelten Blockbustern wie „Die Mumie“, „The Scorpion King“ und „Van Helsing“ aufgefallen. In der 93-minütigen Geistergeschichte „Odd Thomas“ schaltet er einige Gänge zurück und erzählt eine amüsante Variante von „The Sixth Sense“: Odd Thomas, der eigentlich Todd heißen sollte (Anton Yelchin, bekannt als Pavel Chekov in „Star Trek“ und „Star Trek into Darkness“), kann Tote sehen, aber leider auch die Bodachs, dämonische Wesen aus einer anderen Welt, die von bevorstehenden Untaten angezogen werden. Die eher lästige Gabe hilft Odd dabei, das Böse zu bekämpfen und zukünftige Verbrechen zu verhindern. Dabei unterstützen ihn der lokale Polizeichef Wyatt Porter (Willem Dafoe) und Odds rhetorisch schlagfertige Freundin Stormy (Addison Timlin). Als ein übles Quartett von Satansanbetern in Odds kleiner kalifornischen Heimatstadt ein Massaker plant, tauchen die Bodachs zu Tausenden auf und der Geisterjäger gerät bald an die Grenzen seines Könnens.

„Odd Thomas“ erinnert unübersehbar an Peter Jacksons „The Frighteners“ (1996). Die von der Hauptfigur im Off lakonisch kommentierte Geschichte wird von Sommers aber schwungvoller und witziger erzählt und erinnert mich als Comings-Of-Age-Geschichte ganz entfernt an den Found-Footage-Film „Chronicle. Und zwar weil dieser Film ebenfalls mehr Überraschungen im Gepäck hatte als man von einem Independant Movie erwarten durfte. Während „Chronicle“ das Zehnfache seiner Entstehungskosten einspielte und bereits als Kultklassiker gilt, wird dies „Odd Thomas“ auf dem DVD-Markt wohl eher nicht gelingen.
Egal: „Odd Thomas“ legt ein flottes Tempo vor, ohne zu überdrehen, bietet einige witzige visuelle Ideen, auch wenn der eine oder andere Effekt etwas preiswert aussieht, und konterkariert den humorvollen Grundton des Films dann mit einem nicht ganz überraschenden tragischen Ende. Das reicht für einen runden Kinoabend und für die Note 2,5.

Klein, aber fein, dafür aber in einem deutlich ernsthafteren Genre angesiedelt ist „The Attack“. Was passiert, wenn ein Mann erfährt, dass die eigene Ehefrau möglicherweise jahrelang ein Doppelleben geführt hat und nach einem verheerenden Bombenanschlag als Selbstmordattentäterin verdächtigt wird? Nun, er glaubt es nicht. Zu brutal wäre es, die Auslöschung der eigenen Biografie zu akzeptieren. Dann aber begibt er sich auf die Suche nach der Wahrheit.
Nun aber spielt das Ganze in Israel und die Hauptfigur in
„The Attack“ ist der bestens in die israelische Gesellschaft integrierte arabischer Arzt Amin Jaafari (Ali Suliman), dessen Fallhöhe sich aber als beachtlich erweist. Er verliert seinen Job, stellt zu viele Fragen, gerät bald selbst unter Verdacht und danach an den Rand der bürgerlichen israelischen Gesellschaft, die ihn zuvor als brillanten Mediziner gefeiert hat. Auf seiner Reise in die Westbank erfährt er dann, dass er bei den Drahtziehern des Attentats ebenfalls als persona non grata behandelt wird, während seine tote Frau in den Straßen als Märtyrerin bejubelt wird: an beinahe jeder Hauswand hängt ihr Bild.

Die Direct-to-DVD-Produktion „The Attack“ basiert auf dem Roman „Die Attentäterin“ des algerischen Schriftstellers Mohammed Moulessehoul, der im französischen Exil lebt und dessen Buch in den Ländern der arabischen Liga auf dem Index steht. Vor einem halben Jahr erhielten der libanesische Regisseur Ziad Doueiri (lange Zeit Kameramann für Quentin Tarantino) und seine Frau und Drehbuchautorin Joelle Touma für ihren stillen, aber unerhört beklemmenden Film den Preis der Buchmesse für die beste Literaturverfilmung.

Einen politischen Film habe er nicht machen wollte, erklärte Doueiri, aber dafür einen psychologischen Thriller. Dass ein politischer Film daraus geworden ist, ist nach derartig bescheidenen Zuweisungen allerdings keine Überraschung. Denn in dem beinahe bizarren Schicksal eines eher unpolitischen Arztes wird die Tragödie des Nah-Ost-Konflikts in seiner scheinbar unüberwindlichen Verhärtung besonders brutal sichtbar.
Fast noch mehr als der Film selbst zeigt dies die ökonomische Seite des auch von Geldgebern aus Katar und Ägypten finanzierten Produktion: Nach der Uraufführung auf dem Toronto Filmfestival baten die Katarer und Ägypter den Regisseur darum, ihre Namen aus den Credits zu nehmen. Ein Film, der in Israel gedreht wurde und in dem israelische Schauspieler vor der Kamera stehen, war ein unerhörter Regelbruch. Das Geld durfte er behalten. Aber der Film darf in 22 arabischen Ländern nicht gezeigt werden und Doueiri droht nach seiner Rückkehr in den Libanon eine mehrjährige Haftstrafe.

Das Besondere und gleichzeitig Verwirrende an dem Film ist indes, dass die Selbstmordattentäterin eine Christin ist. Das hat man als Zuschauer nicht von einem derartigen Sujet erwartet. Aber darauf hat Ziad Doueiri eine Antwort: auch palästinensische Christen sind Opfer des politischen Konflikts. Man nimmt sie nur nicht wahr. Gerade diese narrative Volte macht den Film zu einer nachhaltig wirkenden Erfahrung, für die es im Filmclub die Gesamtnote 2 gab.


Beste Filme des Quartals:

„The Butler“, „The Attack“ = 2


Größter Flop des Quartals:

„Chroniken der Unterwelt - City of Bones“ = 4,5

Credits

12 Years a Slave – USA 2013 – Regie: Steve McQueen, D.: Chiwetel Ejiofor, Michael Fassbender, Brad Pitt, Benedict Cumberbatch – FSK: ab 12.

The Butler – USA 2013 – Regie: Lee Daniels – D.: Forest Whitaker, Oprah Winfrey, Terrence Howard, Vanessa Redgrave, Cuba Gooding Jr., Robin Williams, Liev Schreiber, John Cusack, Alan Rickman, Jane Fonda – FSK: ab 12.

Mitternachtskinder (Midnight’s Children) – GB / CAN 2012 – Regie: Deepa Mehta, Buch: Salman Rushdie – D.: Shriya Saran, Satya Bhabha - FSK: ab 12.

Odd Thomas – USA 2013 – Buch und Regie: Stephen Sommers (nach dem gleichnamigen Roman von Dean Koontz) – D.: Anton Yelchin, Willem Dafoe, Addison Timlin - FSK: ab 16.

The Attack – 2012 - Regie: Ziad Doueiri, Buch: Joelle Touma – D.: Ali Suliman, Reymond Amsalem, Evgenia Dodena - FSK: ab 16.