Samstag, 3. November 2012

Skyfall

Großbritannien / USA 2012 - Regie: Sam Mendes - Darsteller: Daniel Craig, Judi Dench, Javier Bardem, Ralph Fiennes, Naomie Harris, Bérénice Marlohe, Albert Finney, Ben Whishaw, Rory Kinear, Helen McCrory, Ola Rapace - FSK: ab 12 - Länge: 143 min.

Natürlich gibt es Bond-Fans, die lieber sehen würden, wie ein 85-jährigen Roger Moore durch die Wüste rennt, als den bartstoppeligen und (fast) abgehalfterten Daniel Craig, der in „Skyfall“ dann auch noch mit Pauken und Trompeten durch den Eignungstest für Außeneinsätze fällt. Aber so ist es nun mal: 50 Jahre lang hat uns der britische MI6-Agent mit der Lizenz zum Töten mehr oder weniger gut unterhalten – und immer war er ein Kind seiner Zeit. Und smarte Helden im Smoking, ausgerüstet mit zahllosen Gimmicks, sind heuer nicht mehr angesagt. Heute sind die Helden allesamt beschädigt.

Zerrupfte Helden und charmante Bösewichter

In „Skyfall“ gibt es nach vierjähriger Pause eine Menge Beschädigungen: Bond wird gleich zu Anfang von „M“ (Judi Dench) mehr oder weniger zum Abschuss freigegeben und später wird „M“ nicht nur einmal anderen vorrechnen, wann und wo sie einen Agenten geopfert hat, um vielen anderen das Leben zu retten. „Skyfall“ ist damit auch eine Geschichte über professionelle Loyalität und gekränkte Liebe.
Dazu passt ganz gut, dass der Held diesmal ziemlich zerrupft auf Tauchstation geht. Nachdem er versehentlich „erschossen“ wurde, hängt er billigen Schnapsbunden ab und nimmt Wetten an, bei denen es darum geht, einen Drink zu nehmen, während ein Skorpion auf dem Handrücken sitzt. Natürlich sticht der dann nicht zu, aber wenn Bond schon nach einer halben Stunde zum Kneipenheld mutiert, werden viele Bond-Fans heftig schlucken.

Klar, dass er bald wieder gebraucht wird und an die Front zurückkehrt, in das Reich der „Schatten“, für das sich „M“ vor einem Regierungsausschuss verantworten muss. So weit ist das MI6 also gekommen! Klar, dass Bond das Spiel wieder spielen will, denn seine liebste Passion ist die „Auferstehung“, wie er dem Gegenspieler Raoul Silva (Javier Bardem) lakonisch mitteilt. Nun geht es in „Skyfall“ aber nicht um religiöse Motive, sondern schlichtweg um biblische Rache, denn Silva gehörte als „Liebling“ von „M“ einst zu den tragischen Helden, die zum Wohl des Empires geopfert werden mussten. Nun will er „Mami“ aus nachvollziehbaren Gründen an den Kragen und zu diesem Zweck enttarnt er bei YouTube britische Auslandsagenten.

Bonds Gegenspieler ist also Bonds Ebenbild und sein böse Spiritus Rector in Sachen Geheimdienst und pessimistischer Lebensanschauung. Bardem spielt diese Rolle mit Grandezza – ein böser Charmbolzen, der seinen gefesselten Widersacher schon einmal zärtlich streichelt und auch sonst einige Fragen zu seiner sexuellen Orientierung unbeantwortet lässt. In seinen besten Szenen lässt Bardem auf jeden Fall viele Ex-Bond-Gegenspieler wie verkalkte Wackelgreise aussehen (seine Ratten-Analogie ist grandios gespielt) und er gibt dem Affen viel Zucker, denn Bond muss sich schließlich auch damit auseinandersetzen, dass „M“ bereit war, über seine Leiche zu gehen. Aber Bond ist zu wenig introvertiert, um Vaterland und MI6 im Stich zu lassen und so geht er dem Schurken mit der wortwörtlichen Gemeinheit einer Ratte an den Kragen, auch wenn er letztendlich mehr mit ihm gemein hat als zu er zugeben möchte.

Visuell kraftvoller Film

Natürlich gibt jede Menge Bond-gerechte Action, allein das Intro, in dem Bond mit einem Schaufelbagger auf einem fahrenden Zug zum Angriff übergeht, ist das Geld schon wert. Aber was dem Film über weite Strecken gut tut, dass ist der ausgewogene Rhythmus, den Sam Mendes („American Beauty“ „Zeiten des Aufruhrs“) seinen Figuren mit auf den ungewissen Weg gibt.
Mendes, der nicht gerade häufig hinter der Kamera steht (sechs Kinofilme seit 1999), hat ein schönes Gefühl für Timing und gibt dem dramatischen Dreigestirn „M“ – Bond – Silva genau die Zeit, die benötigt wird, um die verkappte Geschichte von der bösen Mutter und ihren toughen Jungs glaubwürdig zu erzählen. Dabei wirkt Daniel Craig, an dessen stoischer Miene und dem unerbittlichen Sarkasmus die meisten, aber längst nicht alle Gefühle abperlen, noch als Mime mit der geringsten emotionalen Tiefenschärfe.

Fürs Visuelle war diesmal Roger Deakins („Fargo“, „A Beautiful Mind“, „No Country for Old Men“, „Der Vorleser“, „Zeiten des Aufruhrs“) verantwortlich, der seit 1975 für einige der besten amerikanischen Filme an der Kamera gestanden hat. Deakins gehört eher zu den klassischen Künstlern, denen es am Herzen liegt, das genau zu zeigen, was gesehen werden muss. Statt Wackelkamera und verrissener Schwenks, die zu einem 1-Sekunden-Schnittgewitter montiert werden, gehen von Deakins Bildern Gelassenheit und Anschaulichkeit aus, Eigenschaften, die nicht mehr die Regel sind im zeitgenössischen Actionkino. Und so kommt es dazu, dass „Skyfall“ einer der visuell kraftvollsten Filme der 50-jährigen Bond-Ära geworden ist.

Trotzdem: 50 Jahre nach „Dr. No“ hat sich viel geändert. Das Franchise hat dabei einen konsequenten Weg gewählt: die Schurken sind nicht einfach nur irre und größenwahnsinnig, sie sind Teil einer Welt, in der die Gegensätze zwischen Gut und Böse alles andere als klar zu beschreiben sind; „M“ muss sich von ihrem potentiellen Nachfolger Gareth Mallory (Ralph Fiennes) vorhalten lassen, das man in einer Demokratie lebe und nicht einfach tun und lassen kann, was man möchte und Bond muss wohl oder übel eine Reise in die eigene Vergangenheit antreten, die an alter Jugendstätte in den schottischen Highlands endet, dort wo das Grab seiner Eltern ist. Auch die Gimmicks sind bescheidener geworden und „Q“ ist ein junger Nerd („Die Zeiten, in denen wir explodierende Bleistifte gemacht haben, sind vorbei!“), der Bond ganz nebenbei erklärt, dass er in einer halben Stunden am Computer mehr Unheil anrichten kann als Bond in einem Jahr.
Aber eins ist dann doch so geblieben wie es immer war: harte Jungs wie James Bond sind auch in einer ambivalenten Welt am Ende die, die im Chaos eine verlässliche Konstante abgeben – ich denke, in 50 Jahren wird das nicht anders sein.

Noten: Melonie = 2, Mr. Mendez, BigDoc = 2,5