Samstag, 26. Mai 2012

Deutsche Komödien: „Hotel Lux“


Deutschland 2011 - Regie: Leander Haußmann - Darsteller: Michael Herbig, Jürgen Vogel, Thekla Reuten, Alexander Senderovich, Valerie Grishko, Juray Kukura - Prädikat: besonders wertvoll - FSK: ab 12 - Länge: 105 min.

In „Hotel Lux“ geht es zu Anfang zwar um Nazis, aber im Zentrum von Leander Haußmanns Komödie steht eine andere Variante des Terrors: die stalinistische Säuberungswelle, die in der zweiten Hälfte der 1930er Jahre auch die im Moskauer „Hotel Lux“ lebenden Sozialisten und Kommunisten erfasste, die dort vor den Faschisten Zuflucht gesucht hatten. Hier wurden nachts recht wahllos vermeintliche Dissidenten vom NKWD aus ihren Betten geholt und beseitigt. Wer Glück hatte, wurde nach Sibirien deportiert. Und ausgerechnet in dieser von Verrat und Denunziation geprägten Atmosphäre soll ausgerechnet ein deutscher Kleinkünstler dem Großen Führer Josef Stalin die Karten lesen? Kann man darüber lachen? Ja, man kann.

Tingeltangel
Am Anfang lachen die Nazis noch über sich selbst: Hans Zeisig (Michael Herbig) und sein Freund Siggi Meyer (Jochen Vogel) parodieren auf einer Berliner Kleinkunstbühne die beiden Erzfeinde Hitler und Stalin. „Ein Freund, ein guter Freund“ singen sie und 1933 grölt das Publikum, mehrheitlich aus SA- und SS-Gefolgsleuten bestehend, vor Begeisterung. Eine völlig absurde Szene, die ihren schwarzen Humor darin besitzt, dass der Zuschauer (hoffentlich) weiß, dass der deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakt Jahre später folgen wird und wie ein blasphemischer Donnerschlag nicht nur in den Reihen der im Exil befindlichen Antifaschisten landen wird.
Zeisig ist ein richtiger Schlemihl, charmant, ein unpolitischer Frauenheld, mit einem Traum von Hollywood in seinem Herzen. Siggi dagegen, der den Hitler mimt, wird wenig später in die Kommunistische Partei eintreten und in den Untergrund gehen. Später werden sich die Freunde unter nicht weniger üblen Zeitläuften wiederbegegnen.

Leander Haußmann skizziert den Übergang des multikulturellen Berlins zur Hauptstadt des Reiches in eleganten Bildern: Tingeltangel ist in seinem Film keine Behauptung, sondern wird in „Hotel Lux“ ganz authentisch als die anarchistische Kleinkunst der Komik zum Leben erweckt, die sie in den 1920er Jahren war.
Aber ebenso treffsicher zeigt Haußmann auch ihren Niedergang. Für jene, die über alles lachen wollen, ist im Tausendjährigen Reich kein Platz mehr. Holen sich die uniformierten Nazis (Hitler soll ja ein Faible für die Kleinkunst besessen haben) anfänglich hinter der Bühne noch Autogramme bei Siggi ab, so bricht nach dem Reichstagsbrand der braune Terror auch über die Freunde herein. Zeisig wird in Deutschland nicht mehr glücklich: Siggi landet im KZ Oranienburg, ein Nazi hat die Leitung des Varietés übernommen und die Sketche werden lebensgefährlich. Und dann geht ausgerechnet Zeisig, der sich zuvor liebenswert-naiv zum harmlosen Tingeltangel bekannt hat, noch einmal auf die Bühne, diesmal hat er sich das Hitler-Bärtchen angeklebt: „Wir haben geeignete Mittel, um jeden zum Lachen zu bringen!“, aber es lacht niemand mehr.
Nun geht es ums reine Überleben, aber statt im amerikanischen Fluchtparadies landet Zeisig mit falschem Pass in der Sowjetunion – im berüchtigten „Hotel Lux“.

Ziemlich humorlos: Die Kanonisierung der politischen Komödie
Das Tragische an der Filmkomödie ist, dass sie häufig wie unter Zwang zum Kassenerfolg verdammt ist, während die meisten Komiker wissen, dass man sehr oft eine Komödie nur deshalb macht, weil das, was man erzählt, als Tragödie überhaupt nicht zu ertragen wäre. Um von einer derart depressiven Einsicht abzulenken, hat man sich im frühen Kino Torten ins Gesicht geworfen, was besonders aus anthropologischer Sicht interessant ist, aber das ist ein anderes Thema. Immerhin scheint zu gelten, dass Menschen, die im Kino lachen wollen, auf den tragischen Kern jeder Komödie lieber verzichten wollen. Komödien, die politische Themen aufgreifen, werden vielleicht auch deswegen immer als problematisch empfunden. Nicht nur beim Zuschauer: Entweder werden sie verrissen oder kanonisiert.

Chaplins „The Great Dictator“ gehört ebenso zum Kanon der gültigen Komödien mit bitterernstem Hintergrund wie „Sein oder Nichtsein“, den Ernst Lubitsch 1942 drehte, oder Roberto Benignis „Das Leben ist schön“ (1997). Aber Kanonisierung löst mitunter Langeweile aus, mitunter lässt das Publikum dies auch die Filmemacher spüren, und das nicht nur dann, wenn diese nicht den Sprung über den großen Schatten der Vorbilder wagen.
In Deutschland tut man sich traditionell mit dem Genre schwer. Krawallige Filme wie Dani Levys „Mein Führer – Die wirklich wahrste Wahrheit über Adolf Hitler“ (2007), in dem Hitler von Helge Schneider als depressives Würstchen gegeben wird, lösen hierzulande nicht ganz zu Unrecht epochale Debatten über die Political Correctness von politischen Komödien aus. In der Regel sind diese Diskurse dann auch ziemlich humorlos.

Dass nun ausgerechnet der auf platte Klamotte spezialisierte und dafür mit Filmpreisen überhäufte Michael Herbig einen Schritt in dieses kritische Komödienfach gewagt hat, dürfte nicht nur seine am handfesten Klamauk geschulten Fans überrascht haben. Ihn wohl auch, denn Herbig lehnte die Rolle erst ab, erlag aber dann dem hartnäckigen Werben des Produzenten Günter Rohrbach.
Dass nun aber seine Performance in Leander Haußmanns „Hotel Lux“ zu einem echten Volltreffer in der qualitativ überschaubaren deutschen Komödien-Landschaft geworden ist, liegt nicht nur an seinen neu zu entdeckenden Fähigkeiten als souveräner Vollblut-Komödiant, sondern auch – und vor allem – an einem exzellenten Script, einem tollen Casting und der Handschrift eines Regisseurs, der es schafft, ein beklemmendes Thema aus der Sicht eines Schlemihls zu erzählen, ohne es zu verwursten. Das ist schon eine Menge wert.

Hotel des Grauens
Als Zeisig vom wechselhaften Schicksal nach Moskau geführt wird, trifft er dort immerhin seine heimliche Liebe wieder, die Kommunistin Frida van Oorten (Thekla Reuten). Wenigstens etwas. Alles Weitere ist aber so, als hätten die Monty Pythons ein Buch von Franz Kafka in die Hände bekommen. Alles ist reglementiert, für jede Bewegung braucht man einen Passierschein („Propusk!“) und in den Hotelzimmern herrschen fast schon metaphorisch die Ratten. Während der zwergenhaften NKWD-Chef Jeschow die Knute schwingt und die Kinder auf den Gängen „Auf der Flucht erschossen“ spielen, erfährt Zeisig recht schnell, dass unter den Gästen die Angst um sich greift. Immer wieder werden nachts Menschen abgeführt, von denen niemand mehr hört, während anderentags die Kommunisten in endlosen Sitzungen Belanglosigkeiten verwalten und „Väterchen“ Stalin ewige Treue geloben. Und ausgerechnet der unpolitische Zeisig, den man mit dem bei den Nazis in Ungnade gefallenen Astrologen Jan Hansen verwechselt, soll nun höchstpersönlich und erneut in falscher Rolle dem Diktator die Zukunft aus einem Satz Karten lesen.

Haußmann konfrontiert den Zuschauer dabei gleich mit einer Flut von Personal: Zeisig trifft auf Wilhelm Pieck, Herbert Wehner (aka Herbert Funk), Walter Ulbricht, Lotte Kühn, J.R. Becher und andere deutsche Kommunisten. Um den Zuschauer historisch nicht zu überfordern, stanzt Haußmann knappe Angaben zur Vita ins Bild. Das ist genauso witzig wie die gallige Situationskomik des Films: Walter Ulbricht baut aus Zuckerstücken „ach, nur so“ eine Mauer und wenn Zeisig zum ersten Mal Stalin trifft, sitzt dieser auf der Toilette und dreht als Erstes das Wasser auf, damit die knarzigen Rohrgeräusche die allgegenwärtigen Mikrofone austricksen. Aber das ist auch das Einzige, das den Paranoiker mit den lebensgefährlich lebenden Emigranten im „Hotel Lux“ verbindet: wenn Zeisig zum ersten Mal dem anderen großen Führer begegnet, erschießt dieser nach dem Gespräch den in der Badewanne hockenden Übersetzer. Zeugen werden nicht geduldet. Zeisig muss Russisch lernen.

Vielleicht ist das auch das Gelungene an Haußmanns Drahtseilakt: immer wenn die Gags andeuten, nun etwas flacher zu werden, serviert uns der Regisseur einen Schlag in die Magengrube. Jeder Witz, der entlastend wirken könnte, wird mit einer grausamen Pointe ausgekontert. Haußmann nimmt nicht nur Zeisig, den Naiven, aber auch Gerissenen, mit auf eine Reise in die Vergangenheit, sondern auch den Zuschauer. Das richtig auszubalancieren, ist manchmal hart am Rande des guten Geschmacks, aber es ist besonders Michael Herbig zu verdanken, dass diese Reise ins „Herz des Bösen“ immer wieder positiv überrascht. Wie Herbig wider besseres Wissen mit schnodderiger Schnauze den Selbstbewussten mimt, das hat schon etwas. Er ist der Hofnarr, der langsam erwachsen wird, aber in seinem Herzen die einfache Wahrheit von der befreienden Kraft des Lachens nicht hergibt. So etwas könnte mit allerhöchstem Kitschverdacht in die Hose gehen, aber Herbig meistert den Spagat souverän. Er ist die eigentliche Entdeckung dieses Films.

Und wenn am Ende auch Siggi wieder auftaucht und Zeisig endlich Fridas Herz gewonnen hat, beginnen die Köpfe erst richtig zu rollen, denn der deutsch-sowjetische Nichtangriffspakt fordert neue Opfer. Noch einmal müssen die beiden Freunde ihre Paraderollen auspacken und wenn dem Trio unter den Augen von Ribbentrop und Molotow dann die spektakuläre Flucht gelingt, dann kann man Leander Haußmann nur zu diesem Film gratulieren, denn eins hat man gelernt: die Bösen dieser Welt mögen kein Tingeltangel.
Vielleicht landet „Hotel Lux“ ja auch deswegen mal im Kanon!

Pressespiegel:

Alexander Cammann in „Die Zeit“:
Die „Überblendung von historischer Realität jenes Tages mit burlesk-surrealem Showdown zeigt für einen Moment immerhin, was aus diesem Film hätte werden können, wenn womöglich jemand wie Helmut Dietl, der ursprünglich an diesem Film saß, weitergemacht hätte....Die Schwäche des Filmes ist handwerklich-künstlerisch. Angestrengt kokettiert Leander Haußmann mit Vorbildern, ein bisschen Lubitsch, ein bisschen Tarantino. Aber ihm fehlt deren Sinn für Timing und jenen Moment, der Komik erst entstehen lässt – alles ist zwar temporeich erzählt, jedoch zu ungenau, ja schluderig. Schauspielerisch bleiben folglich die meisten Darsteller unter ihren Möglichkeiten...Hotel Lux ist somit ein verblüffend humorloser Film, ohne je ernsthaft zu sein...Wer sich dem Grauen nähert, muss ihm erkenntnisstiftende Pointen abringen können, muss gewitzt sein. Helmut Dietl, bitte übernehmen Sie!“

Thomas Funke in „Critic.de“:
Michael Herbig, der als Regisseur und Darsteller die erfolgreichsten deutschen Lustspiele der vergangenen Jahre zu verantworten hat, gibt unter der Regie von Leander Haußmann diesen von den Zeitläuften geplagten Mann so, wie es sich für eine Tragikomödie geziemt. Mal lustig, mal ernst. Aber nie schenkelklopfend. Das ist für die Fangemeinde dieses außergewöhnlich vielseitigen Komikers möglicherweise schwer zu schlucken...Leander Haußmann, der um die Lebenslügen der europäischen Linken weiß, gelingt die schwierige Balance von politischer Farce, Schelmenroman, Boulevardkomödie und Melodram. Die größte Überraschung des Films aber ist Bully Herbig, der hier als Hans Zeisig eine ganz neue Seite zeigt.“

Kurze Gebrauchsanweisung: den Abspann auf jeden Fall zu Ende gucken – es gibt noch einen Nachschlag!

Noten: BigDoc = 2