Dienstag, 19. Februar 2008

There will be blood

USA 2007 - Regie: Paul Thomas Anderson - Darsteller: Daniel Day-Lewis, Paul Dano, Kevin J. O’Connor, Ciarán Hinds, Dillon Freasier, Mary Elizabeth Barrett, Christine Olejniczak, Barry Del Sherman - Prädikat: besonders wertvoll - FSK: ab 12 - Länge: 158 min.

Auf den Spuren von Welles, Ford und Kubrick: Paul Thomas Andersons „There will be blood“ wird Kinogeschichte schreiben.

Schon lange ist im Kino nicht mehr so beharrlich geschwiegen worden. Die ersten Bilder zeigen ein Fall von Exploitation. Ein Mann bohrt, schlägt und hämmert ins harte Gestein; er sprengt aus ihm heraus, wonach er sucht – Schätze, egal was, es ist harter Überlebenskampf, der sich die Natur unterwirft. Noch richtet sich die Ausbeutung auch gleichzeitig gegen den eigenen Körper. Der Mann wird dabei in seinen eigenen, tief in die Erde getriebenen Schacht stürzen und danach für den Rest seines Lebens humpeln.
Paul Thomas Anderson zeigt in „There will be blood“ anfangs schöne schmerzhafte Bilder, minutenlang wird nicht gesprochen und die Aufsehen erregende Musik von Jonny Greenwood verwandelt die sprachlose Eingangssequenz in etwas, das wir so nur aus den Filmen Stanley Kubricks kennen und zuletzt in „2001“ gesehen haben: Es geht ums Ganze, doch anders als bei Kubrick, der uns zeigte, wie ein Mythos funktioniert und diese Erkenntnis dann mit seinem Pessimismus zersetzte, führen uns die grandiosen Bildern, die uns Anderson vorsetzt, den Archetypus vor. Wir ahnen: Es geht um das, was den Menschen antreibt, wenn er bis an die Grenzen geht, um erst sich und dann die Natur auszubeuten. Und dann den anderen, die Gemeinschaft.

Homo oeconomicus
Die USA an der Grenze zum 20. Jahrhundert: Daniel Plainview (Daniel Day-Lewis) hat sich zwar sein Bein ruiniert, aber er hat der Härte der Steine etwas abgerungen, was ihn von den Torturen physischer Arbeit weitgehend befreien wird: Kapital. Zusammen mit seinem Sohn H.W. zieht er durch Kalifornien und kauft Förderrechte. Meistens für wenig Geld.
Plainview ist ein „Ölmann“ und überall dort, wo er auftaucht, um den Energiehunger einer Nation auf dem Wege zur Industrialisierung zu befriedigen, predigt er Werte: Es geht um Wohlstand, es geht um die Familie, die Menschen sollen von den Schätzen der Natur profitieren, um nicht länger einen Laib Brot als Luxus zu empfinden.
Doch Plainview, das steht schnell fest, ist kein Idealist. Es geht ihm um den eigenen Gewinn, mit fast allen Mitteln, und er weiß, dass er die hoffnungslos verarmten, aber gottesfürchtigen Menschen nur betrügen kann, wenn er sich geschmeidig an ihre Werte anpasst.
Als er von dem jungen Paul Sunday einen Hinweis auf ein riesiges Ölfeld erhält, das sich unter dem Boden der elterlichen Farm befindet, zieht er mit H.W. nach Little Boston, um den auf kargem Land vegetierenden Ziegenbauern ihren Reichtum für ein paar müde Dollar abzuschwindeln. Nur Eli, Pauls Zwillingsbruder und der Laienprediger der Gemeinde, durchschaut das Geschäft und fordert für sich, seine Familie und die Kirche eine größere Rendite. Seine „Kirche der 3. Offenbarung“ ist genau das, was der gnadenlose Materialist Plainview am meisten verachtet: Menschen, die ihre Werte und Ziele nicht selbst definieren, sind schwach. Plainview dagegen ist nicht nur Agnostiker, sondern durch und durch ein Nihilist – ein Machtmensch, wie ihn Nietzsche nicht besser hätte ersinnen können, ein Mensch, der mit seiner Skrupellosigkeit jede Moral zersetzt. Plainview wird Eli öffentlich demütigen, nicht weil es erforderlich wäre, sondern weil es ihm gefällt.

Ein Gegenentwurf zu John Fords MythenProvinzialität und Turbo-Kapitalismus, Lohnarbeit und Unterdrückung, christliche Moral und die Gesetze der Ökonomie – Paul Thomas Anderson („Magnolia“, 1999) hat mit „There will be blood“ einen auf den ersten Blick kaum zu bewältigenden Themenkatalog aufgefächert, der zudem noch durch eine Reihe von Subthemen ergänzt wird, denn es geht auch um die Kolonisierung eines Landes, um die ewige Geschichte von der Eroberung des Westens und die Frage, ob die Zivilisation die Barbarei verdrängt oder lediglich eine neue mit sich bringt.
Wenn Anderson dabei offenbar bewusst eine Ikonografie benutzt, die uns vertraut ist, und Daniel Day-Lewis auf seiner Veranda ins Land blicken lässt, dann wird diese Figur zum bösen Alter Ego von Henry Fonda, der in „My Darling Clementine“ in eben dieser Haltung auf einer Veranda sitzt. Diese visuelle Assoziation zeigt uns, dass wir uns Kino ohne ein Bewusstsein für seine Traditionsgeschichte nicht vollständig erschließen können.

Anderson scheint dies zu wissen und er setzt seine Mittel virtuos ein. Er weiß, wie Kino funktioniert und wie es unsere Tragödien in eine eigene Sprache übersetzt, nicht nur, um uns diese Tragödien zu erklären, sondern auch, um daraus neue Mythen zu schaffen. Und diese Mythen können wie bei Ford nur funktionieren, wenn sie Bilder schaffen, die uns suggerieren, auch ohne sprachlichen Diskurs und Analyse bereits all das zu enthalten, was sonst langatmig erklärt werden muss. Bilder, die in unserem kollektiven Kinogedächtnis abgespeichert werden.
Aber auf der Veranda sitzt nicht Henry Fonda, sondern Daniel Day-Lewis. Und das macht den Unterschied aus.

Während John Ford in „My Darling Clementine“ einen ambivalente und mythopoetischen Western geschaffen hat und uns mit seiner mit seiner Wyatt Earp-Figur zeigte, dass es nicht nur um dem Einzug von Recht, Ordnung und Zivilisation in die Gesellschaft des Westens ging, sondern auch darum, die ländlich gewachsenen Werte der Pioniere an der Frontier als bewahrenswert darzustellen, quasi als konservativen Gegenentwurf, der uns vor den Zumutungen einer möglicherweise gemeinschaftsfeindlichen Zivilisation schützen soll, führt uns Anderson eine Figur vor, die uns der späte, deutlich pessimistischere Ford erspart hat: Ethan Edwards ist in „The Searchers“ durchaus noch zugänglich für eine Katharsis, Daniel Plainview ist es nicht – er ist eine Anti-Ford-Figur, er ist der gierige und brachiale homo oeconomicus, dessen kapitalistische Rationalität die sozialen Beziehungen der Menschen regeln wird. Und damit bietet uns Anderson eine deutlich skeptischere Variante der Zivilisationsbetrachtung an.
Wer auch ästhetisch diesen Spagat schafft, der spielt in einer anderen Liga und Anderson ist keineswegs so uneitel, dies in seinen Bildern zu verschweigen. Auch wenn er in seinen Interviews beharrlich seine stilistische Abstinenz verteidigt, weil er (fast phänomenologisch) zum Kern der Geschichte vorzustoßen gedenkt, sprechen seine Bilder eine andere Sprache: Der Mann will dorthin, wo Welles, Ford und Kubrick bereits gewesen sind. Und er schafft es weitgehend.

Psychologie erklärt nicht die GierGenauso wie Ford ist Anderson kein explizit psychologischer Regisseur, auch wenn er uns in „Magnolia“ scheinbar etwas anderes gezeigt hat. In „There will be blood“ geht es ebenfalls nicht um Psychologie, auch wenn der Film nicht ganz ohne sie auskommt, erst recht nicht, weil Anderson diesmal nicht im Altman-Stil in endlosen Nebenhandlungen herumspringt, sondern den Focus allein auf seine Hauptfigur richtet. Diese Tycoonfigur rückt jedoch noch weniger als bei Welles etwas über ihre üblen Traumata heraus: „Citizen“ Plainview hat eine Geschichte, er ist beschädigt und irgendwann outet er sich auch als asexueller empathiefreier Menschenhasser – sein Reichtum, so erklärt er, diene nur dazu, irgendwann allein und ohne Menschen leben zu können. Der Rest bleibt im Dunklen.

Aber Andersons Held ist keineswegs eindimensional: Wir erfahren zwar, dass H.W. nicht sein leiblicher Sohn ist, sondern dass er ihn als Accessoire mitgenommen hat, um sich besser einschmeicheln zu können, aber Plainview scheint zumindest noch reflexhaft über einige Gefühle zu verfügen, genauso wie John Hustons Figur Noah Cross in „Chinatown“, jenem anderen großen Film über die unbändige ökonomische Gier. Lädiert sind diese Gefühle aber in jeder Beziehung und es wird Plainview zum Verhängnis, dass er nach einer schweren Explosion, bei der H.W. sein Gehör verliert, seinen „Sohn“ in ein Internat abschiebt. Spätestens dann nämlich, als er überlebenswichtige Grundstücke, die er für den Bau einer Pipeline benötigt, nur kaufen kann, nachdem er sich öffentlich in Elis Gemeinde als „Sünder“ demütigen lässt.
Später wird in Plainviews Leben noch ein anderer Schwindler auftauchen: Henry, ein verlorener Bruder, der aber keiner ist. Plainview wird in diesem mickrigen, labilen Betrüger eine zeitlang einen loyalen Freund besitzen. Es gibt ein schönes Bild in „There will be blood“, das man auch übersehen kann: Plainview sitzt mit Henry am Strand, den Blick in die Ferne gerichtet. Es scheint ein Moment der Ruhe zu sein, aber Henry sinkt in sich zusammen, erkennbar verzweifelt, und Plainviews Blick verrät nicht nur seine Verachtung für das Schwache, sondern auch die Erkenntnis seiner Einsamkeit. Wenig später wird er Henry erschießen, nachdem er ihn als Betrüger entlarvt hat. There will be blood.

Dramaturgischer FehlgriffDas Einzige, was in Andersons Film für Unbehagen sorgt, ist Plainviews Antagonist: Der von Paul Dano gespielte fundamentalistische Laienprediger Eli taugt nicht als Gegenpart. Nicht nur, weil er ein skurriler Exorzist ist und bestenfalls als Comicfigur taugt, die den europäischen Zuschauer nur allzu leicht über den amerikanischen Fundamentalismus der Bush-Ära spötteln lässt, sondern auch weil damit in Andersons Script eine überzeugende Gegenfigur fehlt, die fähig wäre, die Morbidität von Plainviews Turbo-Kapitalismus zu denunzieren.
Im Gegenteil: Ein simples Arrangement mit Eli Sunday hätte Plainview einen Konflikt erspart, denn zuletzt erfahren wir, dass Sunday von der gleichen Gier befallen ist wie sein Gegenspieler. Im Grunde genommen kämpfen zwei Brüder im Geiste gegeneinander und spätestens im letzten Drittel rutscht Andersons Film in ein monströses Rachedrama ab, das einen faden Beigeschmack hinterlässt. Als Sunday, der zwischenzeitlich sogar zum erfolgreichen Radioprediger aufgestiegen ist, Ende der Zwanziger Jahre durch den Börsencrash ruiniert wird und in Plainviews luxuriösen Haus auftaucht, um ihn um Hilfe zu bitten, dient dies (und ein ziemlich überflüssiger Twist) nur der Stilisierung Plainviews zum dämonischen Mega-Bösewicht. Das ist am Ende nur noch Schauspieler-Kino, mit Grandezza vorgetragen, aber eben auch nicht mehr. Man spürt, dass Anderson das „Große Finale“ fest im Blick hatte und dazu passt dann auch, dass Plainview seinen unterklassigen Gegner mit den Worten „I’m finished“ auf der Kegelbahn seines Hauses erschlägt.
Klar, das mag als großes Kino erscheinen, aber so kommt man nicht überzeugend aus einem Film heraus, der uns in seinen klarsten Momenten vor Augen geführt hat, dass das Ökonomische das Soziale regelt. Und nicht umgekehrt. Jedenfalls nicht, solange wir es nicht ändern.

„Seit je hat Aufklärung im umfassendsten Sinn fortschreitenden Denkens das Ziel verfolgt, von den Menschen die Furcht zu nehmen und sie als Herren einzusetzen. Aber die vollends aufgeklärte Erde strahlt im Zeichen triumphalen Unheils“ (Theodor W. Adorno).

Persönlich bin ich davon überzeugt, dass Paul Andersons Film in einigen Jahren von den Filmhistorikern als „Citizen Kane“ des 21. Jahrhunderts gefeiert werden wird. Ob dieser zutiefst humorlose und unironische Film einen Oskar gewinnen wird, bleibt nur noch für wenige Tage eine spannende Frage. Daniel Day-Lewis wird ihn vermutlich erhalten. An den Kassen wird dieser Film wahrscheinlich kläglich scheitern – er ist zu spröde, zu komplex codiert.
Im Filmclub sorgte „There will be blood“ auf jeden Fall für einen Eklat: Er fiel zwar nicht durch, aber mit einer Durchschnittsnote von 3 wurde nach del Toros „Pans Labyrinth“ ein weiteres cineastisches Meisterwerk in die Tonne gehauen.


Noten: Mr. Mendez = 4, Klawer = 3,5, Melonie = 3, BigDoc = 1,5
Pressespiegel:

„Mit diesem Film gelingt Paul Thomas Anderson … ein weiteres Meisterwerk, ein epochemachendes Stück Kino und einer der wichtigsten Filme des - zugegeben noch sehr jungen - neuen Jahrhunderts“ (Rüdiger Suchsland in: TELEPOLIS).

„Und wie ließe sich dieser andauernde Wertestreit besser inszenieren als im Gewand eines Westerns? Amerikas mythologischer, ganz und gar eigener Form der Selbstbespiegelung, die den Stolz einer Nation mutiger Pioniere ebenso reflektiert wie ihr Schuldbewusstsein angesichts blutiger Landnahmen. So sollte auch nicht von einer Renaissance des Genres gesprochen werden, war es doch nie gänzlich verschwunden“ (David Kleingers in: SPIEGEL ONLINE).

„Regisseure wie Anderson begreifen das Medium Film nicht aus dem Gedanken heraus, Vorhandenes zu nehmen und neu anzuordnen, sondern es so sehr in einen anderen Kontext zu denken, dass es das Antlitz seiner Ursprungsquelle verliert, um eine eigene Gestalt anzunehmen. Eine Qualität, die Anderson mit jenen Regisseuren eint, die einst das Kino verändert haben. Eine Qualität, der sich Anderson mit seinem neuen Werk nur wieder würdig erweisen konnte“ (Martin Thomson in: SCHNITT).
„… man könnte an Orson Welles als Citizen Kane denken oder Rock Hudsons Ölbaron in Giganten. Und es spricht für den Regisseur, dass diese Assoziationen nicht prätentiös wirken. Vielleicht sollte man von einem 37-Jährigen nicht sagen, er habe einen reifen Film gemacht. Hier ist es aber mal angebracht“ (Sabine Horst in: epd-film).
„… so ist Andersons Film doch auf wunderbare Weise amerikanisch. Er fuchtelt nicht mit dunklen Mächten, er droht nicht mit anschwellenden Untergangsgesängen, mit apokalyptischer Naherwartung und reaktionärem Tamtam. Er sagt nur: Wie es ist, so darf es nicht bleiben. Macht, wie ihr’s wollt, aber macht es anders. Die Menschen haben ihre Wirtschaft immer nur verschieden interpretiert. Nun ist es Zeit, sie zu ändern“ (Thomas Assheuer in: DIE ZEIT).